Interpretation von Fugen

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Hallo zusammen!

Ich habe einen - wohl nicht pauschal beantwortbaren - Fragenkomplex zur Interpretation von Fugen. Und zwar geht es mir ganz grob zunächst um Folgendes:

1. Fugen mit nur einem einzigen Fugenthema, also die weitverbreitetste Form der Fuge:
Das Fugenthema tritt ja im Verlauf der Fuge regelmäßig in allen Stimmen auf. Wenn ich so eine Fuge nun am Klavier spiele, muss ich das Fugenthema bei jedem Auftreten da extra stark hervorheben?
In meinem Klavierunterricht habe ich früher ein paar der Fugen aus dem Wohltemperierten Klavier gespielt und meine Lehrerin legte größeren Wert darauf, dass das Thema bei jedem Auftreten hervorgehoben wird. Mittlerweile (ich habe seit fast 6 Jahren keinen Unterricht mehr) beginne ich aber selbst immer mehr zu zweifeln, ob das wirklich so sein muss.

2. Engführungen:
Wenn das Thema nun gleichzeitig in mehreren Stimmen enggeführt erklingt - wie spiele ich das derart, dass es einem Zuhörer möglichst klar wird? Das Thema in allen Stimmen gleichzeitig gleich stark hervorzuheben bringt wohl ziemlich wenig. Aber wie dann? Nur die Themeneinsätze, also die ersten paar Töne markant hervorheben und danach das Thema in der jeweiligen Stimme gesanglich immer weiter zurücknehmen? Oder ganz anders?

3. Doppelfugen/Tripelfugen/Quadrupelfugen:

Noch einmal die selbe Frage wie zu den Engführungen: Wenn nun eine Fuge mehrere verschiedene Themen hat und diese teilweise gleichzeitig erklingen, hebe ich dann ein konkretes Thema hervor? Und wenn ja, gibt es irgendeine Entscheidungsgrundlage welches davon? Oder hebe ich alle hervor (falls möglich). Oder hebe ich gar keines hervor?

Mir ist bewusst, dass sich diese drei Fragen wohl nicht allgemeingültig beantworten lassen. Aber vielleicht kann jemand von euch trotzdem dazu ja etwas sagen/beitragen. Ich stelle diesen Thread hier auch natürlich gerne jedem anderen zur Verfügung, der weitere/andere Fragen zu anderen Aspekten der Interpretation von Fugen hat.

Konkret übe ich zurzeit den Contrapunctus 14 von Johann Sebastian Bach (inklusive einer Vervollständigung des fehlenden Schlusses). Da habe ich alle oben angerissenen Problemfälle zu bewältigen. Je nachdem, ob ich die Vervollständigung tatsächlich spiele oder mitten im Stück abbreche (da wo Bach abgebrochen hat), habe ich da teilweise in vier Stimmen vier verschiedene Fugenthemen gleichzeitig zu spielen (Rekonstruktion), mindestens jedoch drei (Original-Bach) in verschiedensten Kombinationen.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Lieber DonBos,
danke für diesen Faden!!!

LG, Sesam
 
Wenn nun eine Fuge mehrere verschiedene Themen hat und diese teilweise gleichzeitig erklingen, hebe ich dann ein konkretes Thema hervor? Und wenn ja, gibt es irgendeine Entscheidungsgrundlage welches davon? Oder hebe ich alle hervor (falls möglich). Oder hebe ich gar keines hervor?

als erstes gilt es, die Klangeigenschaften des Klaviers zu berücksichtigen:
(oft, nicht immer)
Sopran quasi forte
Mezzo quasi mezzoforte
Tenor quasi piano
Bass je nach Lage von pp bis mf
falls das erste Thema oder Hauptthema nicht im Sopran liegt, dann dieses fast in derselben Stärke wie die Sopranstimme (und wenn es im Bass liegen sollte, dann darf der gerne effektvoll aufdrehen)

säuselt man hohe Stimmen zu sehr, kann das ganze sonderbar klingen

nun ist es ja bei verschiedenen Themen so, dass sie nicht total gleich artikuliert sind - das schwierige ist, bei drei oder vier verschiedenen Stimmen eben auch die Eigenheiten der Themenartikulation beizubehalten, bei solchen "Engführungen" sogar etwas übertrieben.

und grübel nicht zu viel: ein normaler Klassikhörer ist beim ersten hören einer Tripelfuge überfordert, egal was für eine Mühe du dir gibst.

oberstes Primat am Klavier hat der sinnvolle Zusammenklang, das differenzieren von Klangschichten unter Berücksichtigung der Eigenarten des Klaviers (je höher, desto kürzer die Töne und darum der Höreidruck, dass sie leiser sind)

ansonsten kommt es natürlich auch drauf an, aus welcher musikalischen Epoche die Fuge ist.
 
Lieber DonBos,
danke für diesen Faden!!!

Dem schließe ich mich an - mal sehen, was so zusammenkommt!

Mein Klavierlehrer hat mal auf meine Frage hin, ob ich eine Mittelstimme hervorheben soll, gesagt: Nicht unbedingt hervorheben, aber Du musst Dir selbst der Stimme beim Spielen klar bewusst sein, sie selbst wahrnehmen. Wenn das so ist, dann kann es sein, dass man die Stimme schon ganz von selbst auch als hörbare Stimme gestaltet. Sich mehrerer Stimmen aber wirklich bewusst zu sein, finde ich wirklich sehr schwer...z.B. P&F cis-Moll WTK 1 (a 5) sieht technisch nicht schwer aus, aber m.E. sehr schwer erst einmal gedanklich zu verstehen und dann zu gestalten....

Jeden Eintritt des Themas muss man m.E. nicht zwanghaft hervorheben - das hätte ja schon etwas vorhersehbares und damit langweiliges. Z.B. bei der Exposition, wenn die zweite Stimme dazukommt, ist doch das eigentlich interessante und neue das Kontrasubjekt (oder wie man das nennt...eben nicht das Fugenthema). Bei Engführungen ist das evtl. anders; da muss man wohl je nach Fall schon etwas mehr hervorheben, um das klar hörbar zu gestalten (z.B. gleich C-Dur WTK 1!)

Bin gespannt, was andere so dazu meinen...
 
Danke für eure bisherigen Antworten!

Das "Primat des sinnvollen Zusammenklangs" und die dynamisch abgestuften von rolf beschriebenen Klangschichten sind mir ein Begriff. Ich habe diese aber bisher vor allem beim Spielen von Akkorden angewandt. Soll heißen, Akkorde in der Regel in ebendieser dynamischen Abstufung versucht zu spielen.
Bei Fugen war ich immer davon ausgegangen, dass alle vier (oder wie viele es eben sind) Stimmen absolut gleichberechtigt sind und damit dynamisch jede Stimme das gleiche Recht hat, die dominante Rolle bzw. jede mögliche Dynamik zu übernehmen und dabei dann halt auch mal die Oberstimmen zu übertreffen. In diesem Fall also danke, rolf, für diese Anmerkungen, wenngleich sie mir beim ersten Lesen etwas ungewohnt vorkamen.

Soll heißen: Wenn ich dich (rolf) richtig verstehe, ist der Zusammenklang (also die "vertikale" Ebene des Stücks) wichtiger als die voneinander unabhängige melodische Entwicklung jeder Einzelstimme für sich? Wenn ja, macht dies die Interpretation wohl eher einfacher als schwerer (vier unabhängige horizontale Phrasierungen parallel alle ganz richtig und melodisch unabhängig zu spielen, ohne dass die Gesamtheit zu einem undurchschaubaren Klangbrei wird, ist ja bekanntlich nicht gerade so ganz einfach).

Zitat von rolf:
falls das erste Thema oder Hauptthema nicht im Sopran liegt, dann dieses fast in derselben Stärke wie die Sopranstimme (und wenn es im Bass liegen sollte, dann darf der gerne effektvoll aufdrehen)
Kann ich bei Doppel-/Tripelfugen davon ausgehen, dass das erste der drei vorgestellten Themen dann bei Engführungen auch das "Hauptthema" der Fuge ist und deshalb wichtiger als die anderen beiden Themen?

Zitat von pianovirus:
Z.B. bei der Exposition, wenn die zweite Stimme dazukommt, ist doch das eigentlich interessante und neue das Kontrasubjekt (oder wie man das nennt...eben nicht das Fugenthema).
Du würdest also schon ganz zu Beginn die Kontrapunkte stärker als das Fugenthema spielen? Das finde ich etwas seltsam. Der Anfang der Fuge lebt doch genau davon, dass nach und nach immer eine weitere Stimme hinzutritt und der Klang damit immer "voller" wird. Und den Eintritt einer neuen Stimme hervorzuheben halte ich da für viel wichtiger als den Kontrapunkt. Sonst entstünde doch der Eindruck, der Kontrapunkt sei die neue einsetzende Stimme, was ja falsch wäre.

Den Punkt mit dem bewussten Wahrnehmen finde ich auch sehr wichtig. Aber bewusstes Wahrnehmen aller Stimmen sollte wohl allgemein für alle Stücke gelten, und nicht nur für Fugen. Bei Fugen bzw. allgemein polyphonen Stücken ist dies natürlich anspruchsvoller als z.B. bei einem homophonen Satz.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Soll heißen: Wenn ich dich (rolf) richtig verstehe, ist der Zusammenklang (also die "vertikale" Ebene des Stücks) wichtiger als die voneinander unabhängige melodische Entwicklung jeder Einzelstimme für sich?

Nein, das heisst es nicht - natürlich ist die Entwicklung der einzelnen Stimmen relevant, aber innerhalb klaviergemäßer Klangabstufungen! Und ehrlich gesagt ist es deutlich schwieriger, mit sinnvollem Zusammenklang verschiedene Stimmen zu spielen, als plan alle gleichlaut zu bringen --- nur so als "Anhörungsmaterial" Glenn Gould mit der Fuge aus Beethovens op.110
 
Ah gut, dann bin ich beruhigt. Dann bin ich die Fugen bisher also doch nicht allzu falsch angegangen.

Plan alles gleich laut spielen käme mir übrigens auch nie in den Sinn, keine Sorge! Es sei denn an der Orgel. Ich habe aber definitiv vor, den Contrapunctus 14 nicht auf der Orgel, sondern auf dem Klavier zu spielen. Jede Stimme muss da auf jeden Fall für sich leben und sauber phrasiert sein. Und plane Stimmen widersprechen dem dann doch ziemlich...

Zitat von rolf:
und grübel nicht zu viel: ein normaler Klassikhörer ist beim ersten hören einer Tripelfuge überfordert, egal was für eine Mühe du dir gibst.
Ja, da ist wohl auch etwas dran. Aber das "Problem" ist, dass ich selbst beim Klavierspielen eben auch mit zuhöre. Und ich selber hab leider musikalisch oft Ansprüche an mich selbst, die jenseits meiner technischen Fähigkeiten liegen. Und leider höre ich dieses technische Manko dann auch und versuche drum irgendwie immer wenigstens das allerbeste Mögliche rauszuholen. Und dabei mach mir dann eben gerne mehr Gedanken, als sie für eine Darbietung vor einem "normalen Klassikhörer" nötig wären. Geschweige denn eine Darbietung vor Wald- und Wiesenpublikum, welches noch schlechter hört als der normale Klassikhörer.
 
Und leider höre ich dieses technische Manko dann auch und versuche drum irgendwie immer wenigstens das allerbeste Mögliche rauszuholen.
das ist ja auch die richtige und beste Absicht - - worauf ich hinweise, ist, dass am Klavier auch in linearer Barockmusik eben die Klangeigenschaften des Instruments berücksichtigt werden müssen: man spielt eben innerhalb des differenzierten (und gottlob sehr fein differenzierbaren!) Klavierklangs. Und was noch nicht gut genug klingt, das hat in Sachen Klanggestaltung eben zumeist noch technische Mängel. Daraus folgt, dass am Klang gearbeitet werden muss: eigentlich selbstverständich, denn wir hören ja Musik - na und da soll die sich eben klangvoll und durchsichtig anhören.
 
Vielleicht darf man sich auch nicht allzu sehr auf das Verfolgen des Themas versteifen. Eine Fuge ist ja auch nicht von Anfang bis Ende gleich, es gibt vlt einen Höhepunkt, Steigerungen, Momente der Zurückgenommenheit, etc. Oder es fallen kleinere Notenwerte ein und beleben die rhythmische Struktur. In Fugen von Bach finde ich manchmal Zusammenklänge, die ich total faszinierend finde und die ihren ganz eigenen Klangreiz für mich haben.

Das nur als Hinweis darauf, dass man meiner Meinung nach nicht nur aufs Thema schauen sollte.

lg marcus
 
Zum von marcus angesprochenen Thema "Belebung der rhythmischen Struktur":
Gerade bei Bach ist es phasenweise doch sehr charakteristisch, dass der Zusammenklang aller Einzelstimmen einen ganz stetigen Achtelnotenrhythmus ohne Unterbrechungen formt. Quasi ein lückenloser Fluss. Oder?
Umso wichtiger natürlich hierbei die von rolf angesprochenen Punkte der Abstufung anstelle eines planen Spiels, damit das ganze auch rhythmisch nicht langweilig wird.

Bach hat wahrhaft oft wunderbare Zusammenklänge. Und viele Bach'sche Zusammenklänge einzeln für sich gespielt könnten genauso gut 200 Jahre später komponiert worden sein...

Fugen sind einfach wahre Fundgruben! Ton für Ton, Phrase für Phrase, Stimme für Stimme - und natürlich in ihrer Gesamtkonstruktion, welche ja auch wohl meist einer wohldefinierten Logik folgt.
 
Spannnendes Thema, DonBos, aber wahrscheinlich bekommt man 10 verschiedene Meinungen, wenn man 10 verschiedene Leute fragt; Klavierspiel ist eben Kunst und nicht Wissenschaft, zumindest hat ja Neuhaus sein Buch nicht "Die Wissenschaft des Klavierspiels" genannt. :D

als erstes gilt es, die Klangeigenschaften des Klaviers zu berücksichtigen:
(oft, nicht immer)
Sopran quasi forte
Mezzo quasi mezzoforte
Tenor quasi piano
Bass je nach Lage von pp bis mf
falls das erste Thema oder Hauptthema nicht im Sopran liegt, dann dieses fast in derselben Stärke wie die Sopranstimme (und wenn es im Bass liegen sollte, dann darf der gerne effektvoll aufdrehen) ...

Ich finde es interessant, zuerst einmal die Klangeigenschaften des "Norm"-Klaviers aufzuzeigen, um dann zu schreiben, was man daraus machen kann - vielen Dank an Rolf dafür!

Aus der Perspektive, wie ein Zuhörer am leichtesten Stimmen aufnimmt, sehe ich es so:

Ich finde, als Zuhörer fällt es am leichtesten, eine Sopranstimme zu verfolgen, und danach die Bass-Stimme. Mittelstimmen zu verfolgen, ist schwieriger- erstmal unabhängig davon, ob man auf dem Klavier oder Orgel spielt, oder ob es ein Chorstück ist.
Demgegenüber steht aber, dass gerade Bach bei seinen polyphonen Stücken, insbesondere den Fugen, alle Stimmen gleichberechtigt bedacht hat.
Daraus folgt (für mich): wenn man eine bestimmte Stimme hervorheben möchte, weil deren Stimmenverlauf gegenüber den anderen Stimmen "glänzen" soll (das Fugenthema etwa), muß man sich bei den Mittelstimmen die meiste Mühe geben und die Hervorhebung am deutlichsten machen.

Dies bedeutet, man erleichtert dem Zuhörer die Wahrnehmung der gewollten Hervorhebung, wenn man bei den Mittelstimmen am stärksten hervorhebt, und beim Sopran sind nur zarte Hevorhebungen nötig für denselben Effekt.
Das ist eine diametral andere Herangehensweise als bei z.B. einem Klavierstück von den Romantikern - dort "singt" gerne der Sopran, begleitet von einem runden Baß und zurückgenommenen Mittelstimmen (kann man nicht verallgemeinern, aber in der Tendenz sehe ich das so).

Die Mittel der Hervohebung sind natürlich unterschiedlich bei Klavier oder Orgel, aber das ist erstmal, wie ich es bzgl. der Intensität der Hervorhebung sehe bei den verschiedenen Stimmen einer Bach-Fuge.

Ich habe keinen Tip parat, was die Kunst der Fuge angeht, oder den Contrapunctus14 daraus, weil ich mich selber noch nicht darangetraut habe. Meinen tiefen Respekt hast du also schonmal, dass du diese Stücke beackerst, Donbos!

Generell, was Fugen angeht, habe ich mir mittlerweile angewöhnt, mir ziemlich am Anfang bzgl. Orgel eine bestimmte Artikulation für das Fugenthema (oder die Fugenthemen) oder Kontrapunkt1/2 zurechtzulegen, und zu versuchen, diese Artikulation durchzuhalten, egal in welcher Stimme sie auftritt (nur in der Intensität geändert, siehe oben).

Vielleicht ist es eine Idee, mit Buntstiften oder Textmarker den Themen verschiedene Farben zu verpassen und entsprechend im Notentext bei Auftauchen in den verschiedenen Stimmen zu kennzeichnen - habe ich bisher nicht so gemacht, wäre aber einen Versuch wert. Manchmal fällt bei mir der Groschen erst nach Wochen, dass ich in dieser oder jener Stimme noch das Thema versteckt finde - würde Zeit sparen, dies schon eher zu erkennen.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:

Vielleicht ist es eine Idee, mit Buntstiften oder Textmarker den Themen verschiedene Farben zu verpassen und entsprechend im Notentext bei Auftauchen in den verschiedenen Stimmen zu kennzeichnen - habe ich bisher nicht so gemacht, wäre aber einen Versuch wert. Manchmal fällt bei mir der Groschen erst nach Wochen, dass ich in dieser oder jener Stimme noch das Thema versteckt finde - würde Zeit sparen, dies schon eher zu erkennen.


Lieber Mindenblues,

das finde ich eine hervorragende Idee! So mache ich es selbst und mit meinen Schülern (mit einer Kopie natürlich :p ). Denn die Struktur einer Fuge ist das Allererste, worüber man sich klar werden sollte. Kennt man das Große, kann man das Kleine besser einordnen. Und Fugen sind trotz allem in der Form offen und können sich darin sehr unterscheiden.


Generell, was Fugen angeht, habe ich mir mittlerweile angewöhnt, mir ziemlich am Anfang bzgl. Orgel eine bestimmte Artikulation für das Fugenthema (oder die Fugenthemen) oder Kontrapunkt1/2 zurechtzulegen, und zu versuchen, diese Artikulation durchzuhalten, egal in welcher Stimme sie auftritt (nur in der Intensität geändert, siehe oben).

Auch hier stimme ich dir zu! Ich gehe noch weiter und meine, dass ein Thema oder ein Kontrasubjekt .... einen bestimmten Charakter, eine spezifische Klangfarbe hat, der/die vor allem durch die Artikulation, die Phrasierung und die Dynamik unterstützt und hervorgehoben wird. Über diese drei sollte man sich also in Verbindung mit dem Charakter so seine Gedanken machen, ausprobieren und hören. Oft sind die Charaktere von Thema und Kontrasubjekten/-punkten unterschiedlich.

Hat man z.B. ein kraftvolles, energisches Thema, wird man dort eine andere Artikulation und Dynamik verwenden als bei einem luftig-leichten Kontrasubjekt. Ein spritziges Thema wird anders gestaltet als ein gesanglicheres Kontrasubjekt. Wenn man in solchen Klangschichten denkt/hört und erkundet, wie dieser Charakter und dieser Klang in den verschiedenen Stimmen umgesetzt wird (im Bass darf das luftig-leichte Kontrasubjekt dann nicht klingen wie ein stampfender Elefant im Porzellanladen :D - s. Rolf), hat man schon viel gewonnen. Diese Hörerfahrung macht man also erst mal mit dem Thema allein, mit den Kontrasubjekten etc. etc.. Ist auch technisch sehr sinnvoll, denn gar nicht selten verteilen sich gerade mittlere Stimmen auf zwei Hände... .

Kann man das, hat sich Zeit genommen und kennt nun die einzelnen Elemente gut (dabei kann man auch schon super auswendig lernen, zumindest teilweise), geht's an die Zweistimmigkeit. Wie klingen Thema und 1. Kontrasubjekt etc. zusammen, welche Dissonanzen ergeben sich (zu hören im ultralangsamen Spiel), wie klingen die zwei horizontalen Verläufe zusammen? Wichtig finde ich, dass wirklich beide Stimmen ihre Charakteristik und Klangfarbe behalten! Das übt man dann, bis man sich schön eingehört hat und es auch technisch beherrscht. Ganz wilde könnten auch schon mal die dritte Stimme dazu singen *kicher* . Singen ist überhaupt eine gute Sache bei sowas, alternativ spricht man eben. Ist bei Schülern aber leider extrem unbeliebt.... .

Dann übt man ebenso dreistimmig etc. etc.. Die Zwischenspiele etc. untersucht man natürlich auch auf formale und motivische Zusammenhänge und übt sie entsprechend.

So schafft man es vielleicht, wie ein Regisseur in einem Theaterstück die verschiedenen Haupt- und Nebenrollen, die ja ebenso sehr unterschiedliche Charaktere besitzen, zu einem Ganzen zusammenzufügen, wobei ich auch marcus' Hinweis sehr wichtig finde, der auf die gesamte Dramaturgie und Entwicklung des Stückes abzielt.

Insgesamt fährt man also mehrgleisig bei dem Erlernen einer Fuge: einerseits rational mit Hilfe einer Strukturanalyse und dem Wissen, in welchem Kontext man sich beim Üben gerade befindet. Andererseits ist der größte Anteil für mich ein hörender, der erforscht, was für Klangwelten sich hier auftun. Die Gefahr ist immer, zu rational zu denken und dann wird's mächtig kompliziert. :D Gibt man sich Zeit und Muße, lernt man das Stück zu hören und dann wird sich alles automatisch einstellen (fast :p ).

Liebe Grüße

chiarina
 
Hallo,

mit gespannter Aufmerksamkeit verfolge ich diesen Faden!

Ich hätte eine Frage: im Hinblick auf die Möglickeiten, die am (Hammer)klavier bestehen, leuchtet die Differenzierung durch dynamische Abstufungen ein. Aber wie sieht es aus, wenn diese Möglichkeit wegfällt? Also unter der Annahme, dass die Fuge eine barockene ist und das Tasteninstrument kein dynamisches Spektrum im Sinne von ppp<>fff vorsah?

Mir geht es jetzt nicht um die Instrumentenkunde und -geschichte, sondern darum verschiedene Möglichkeiten der Differenzierung kennenzulernen.

Persönlich finde ich es eher langweilig und ein bißchen einfältig, das Fugenthema (oder Themen) immer in den Vordergrund zu spielen. Mir geht es so, dass ich beim Üben der einzelnen Stimmen oft die viel interessanteren Verläufe in den kontrapunktischen Stimmen finde. Entsprechend gefällt es mir, zwar das Wandeln des Themas durch die einzelnen Stimmen deutlich zu machen, aber dabei auch die Linien der anderen Stimmen zu zeigen. Und das sowohl in ihrem "melodiösen" Gang, aber auch im Zusammenklang. Dass dabei die Struktur gelegentlich etwas unklar wird, so dass man nicht nur auf die Abfolge von Themeneinsatz und Zwischenspielen konzentriert ist, ist mir klar, es ist halt eine Gratwanderung.

Sehr schön in diesem Zusammenhang finde ich es Anregungen beim Chorgesang zu suchen, sofern man es auf dem Klavier umsetzten kann. Da die menschliche Stimme noch viel, viel schöner und "fleischlicher" die verschiedenen Lagen im wahrsten Sinne verkörpert, ist hier gar nicht so viel Modelierarbeit wie auf dem Klavier nötig. Ich empfinde den Gesang von Natur aus differenziert und aber auch im Zusammenklang sowohl eins als auch schiedlich. So, und das jetzt bitte am Flügel :D

LG, Sesam
 
Persönlich finde ich es eher langweilig und ein bißchen einfältig, das Fugenthema (oder Themen) immer in den Vordergrund zu spielen. Mir geht es so, dass ich beim Üben der einzelnen Stimmen oft die viel interessanteren Verläufe in den kontrapunktischen Stimmen finde.

Gerade bei Bach-Fugen ist es sowieso sehr häufig der Fall, dass das Fugenthema selbst rel. schlicht ist, und die Kontrapunkte per se interessanter sind (zumindest bei vielen Orgelfugen). So dass eher die Gefahr da ist, dass man ein Fugenthema - etwa in langen Noten - in dem Stimmengewusel der Kontrapunkte schwer raushören kann, insbesondere, wenn es in den Innenstimmen versteckt ist.
Also, ein sowieso schon interessanter Kontrapunkt kann durch weitere Hervorhebung schnell ein schlichtes Thema überdecken, aber vielleicht sehe ich das zu sehr aus der Orgel(hör)brille. Aber natürlich ist es so, dass man nicht nur die Fugenthemen, sondern auch die anderen Stimmen mit gebührender Aufmerksamkeit und resultierendem Klangergebnis bedenken sollte (das ist es ja gerade, was mich auch so fasziniert an den Fugen: ich könnte sie jahrelang spielen, und finde immer noch was, was man schöner machen könnte - anders ausgedrückt: es wird NIE langweilig).

Ich hätte eine Frage: im Hinblick auf die Möglickeiten, die am (Hammer)klavier bestehen, leuchtet die Differenzierung durch dynamische Abstufungen ein. Aber wie sieht es aus, wenn diese Möglichkeit wegfällt? Also unter der Annahme, dass die Fuge eine barockene ist und das Tasteninstrument kein dynamisches Spektrum im Sinne von ppp<>fff vorsah?

Dort bleibt die Artikulation übrig - aber "übrig" klingt abwertend, obwohl es das nicht sollte. Bei einer Orgel z.B. bleibt ein Ton stehen oder baut sich sogar noch auf, während das (Hammer)klavier eher perkussiv ist. Was bedeutet, dass auf der Orgel es einen viel mächtigeren Einfluss hat, ob man Staccato, Portato oder Legato usw. spielt (im Vergleich zum Klavier), weil eben da das Tonende schon allein lautstärkemäßig mindestens so präsent ist wie der Tonanfang. Daher kann man etwas hervorheben, wenn man auf der Orgel statt legato portato spielt, in den verschiedenen Abstufungen.

Des weiteren kann man auch stärker mit agogischen Mitteln arbeiten, wenn das Instrument schon keine dynamischen Unterschiede zulässt (auch wenn ich das persönlich nur in homöopathischen Dosen bei barocker Fugenmusik gut finde, ist aber Geschmacksache).

Und was das Klavier angeht, könnte man davon auch profitieren, wenn man sich überlegt, ob man die verschiedenen Artikulationsmöglichkeiten auch stärker einbeziehen möchte in die Gestaltung bei barocker (Fugen-)musik, statt den Fokus "nur" oder hauptsächlich auf die dynamischen Dinge zu legen.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Und was das Klavier angeht, könnte man davon auch profitieren, wenn man sich überlegt, ob man die verschiedenen Artikulationsmöglichkeiten auch stärker einbeziehen möchte in die Gestaltung bei barocker (Fugen-)musik, statt den Fokus "nur" oder hauptsächlich auf die dynamischen Dinge zu legen.

das gehört natürlich dazu (!!!) und wird ja auch gemacht (man denke an Gould) - und da gibt es auch etliche Literatur (als erster Ansatz interessant, was P. Werner zu Versfüßen und Artikulation erklärt)
 
Zitat von Mindenblues:
Des weiteren kann man auch stärker mit agogischen Mitteln arbeiten, wenn das Instrument schon keine dynamischen Unterschiede zulässt (auch wenn ich das persönlich nur in homöopathischen Dosen bei barocker Fugenmusik gut finde, ist aber Geschmacksache).

Das gefällt mir! Ich finde man kann auch mit agogischen Mitteln arbeiten, wenn das Instrument dynamische Unterschiede zulässt :p Neben Dynamik und Artikulation, die sich förmlich aufdrängen, kann man über die Agogik noch streiten. Vielleicht weil man unweigerlich an den Rubato-Bach denkt, aber es geht ja auch feiner.

Zum Beispiel Rosalyn Tureck, anders als Gould (der ja oft in engste Verbindung mit ihr gestellt wird, was ich gar nicht so recht verstehe), scheidet sie die Linien auch durch feinjustierte agogische Mittel. Finde ich. Das ermöglicht mir ein vielschichtigeres Hören, als im Fall eines streng metrischen, "nur" artikulatorisch/dynamisch differenzierten Spielens.

LG, Sesam
 

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