Historische Aufführungspraxis, Professoren und Studenten

Dromeus

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23. März 2021
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Im Rahmen des 50. Jubiläums der Schlosskonzerten Bad Krozingen (siehe auch https://www.clavio.de/threads/50-ja...rozingen-historische-tasteninstrumente.31705/ ) werden aktuell sämtliche Sonaten aus der Feder von Wolferl Amadée Mozart von Studenten an sechs Nachmittagen aufgeführt. Die Leitung der Konzerte erfolgt von den jeweiligen Professoren der Vortragenden. Neben Genf und Basel sind die Hochschulen von Trossingen, Freiburg, München und Stuttgart beteiligt.

Vier Konzerte fanden bereits statt, und ich fand eines bemerkenswert. Bei den Studenten und bei den Professoren gab es verschiedenste Nationalitäten, Deutschland oder Schweiz waren allerdings nicht darunter:

3x Japan
2x Südkorea
1x Niederlande
2x Frankreich
2x Italien
1x Russland
1x Taiwan
1x Kolumbien

und bei den Professoren
Niederlande, Italien, und 2x Frankreich.

Sind in dem Segment "Historische Aufführungspraxis" unsere Hochschulen so attraktiv für Studenten und Lehrer aus aller Welt, oder gibt es im Ausland diesbezüglich zu wenig Angebote? Ist das Segment für deutsche Musikstudenten unattraktiv?
 
Das hängt von verschiedenen Faktoren ab, z.B. wer die Professur für historische Tasteninstrumente hat - oder ob es eine solche an der Hochschule überhaupt gibt. Auch davon, welches Instrumentarium da ist. Die Instrumente haben sich damals so schnell verändert! Nicht jede Hochschule hat einen Schwerpunkt auf historischer Aufführungspraxis mit Tasteninstrumenten und fördert das entsprechend.

Attraktiv nicht für deutsche Studenten? Kann ich so nicht beurteilen bzw. beobachten. Mich z.B. interessiert sehr die Aufführungspraxis der Frühromantik bis hin zu den (fast) modernen Instrumenten, aber so einen Hammerflügel gibt es beispielsweise in Würzburg nicht. Auch ist der Zugang zu den Instrumenten für Studenten oft nicht so leicht, weil die Instrumente aufgrund ihrer Empfindlichkeit nicht allen zum Üben einfach offenstehen. Man muss sich also aktiv darum bemühen, ggf. den Professor kontaktieren, einen Termin vereinbaren etc., da ist die Hemmschwelle schon groß, wenn man zeitlich sowieso schon mit dem modernen Instrument ausgelastet ist.

Ansonsten ist Deutschland für nicht-Inländer natürlich immer attraktiv, weil es im Vergleich noch immer eine hohe Kulturförderung und -präsenz hat und das Studium fast oder ganz kostenlos ist. Wenn Deutsch nicht so eine vergleichsweise schwierige Sprache wäre, kämen sicher noch viel mehr Musikstudenten zu uns. Für uns ist das ein Glück in der Hinsicht, dass die Konkurrenz aus aller Welt das Niveau beständig hoch hält. Nur mit Inländern allein würden wir das bestimmt nicht schaffen.
 
Danke @Stilblüte.

Ich habe mittlerweile etwas nachgeforscht. Global liegt der Ausländeranteil an den deutschen Universitäten im WS 22/23 bei 15,7%. Dabei finden sich die höchsten Anteile bei den großen Technischen Universitäten wie TU Müchen (38%) und RWTH Aachen und TU Berlin mit über jeweils 28%. Sicher wird es einzelne Fakultäten geben, die höhere (oder auch niedrigere) Zahlen aufweisen.

Für meine Fragestellung am interessantesten sind Daten des Deutschen Musikinformationszentrums.

Im WS 2000/2001 gab es an deutschen Hochschulen 10,4 % ausländische Studenten. Bei Studiengängen für Musikberufe waren es deutlich mehr, nämlich 19,1 %.

Im WS 2020/2021 wuchs der Anteil der ausländischen Studenten an allen Hochschulen auf 14,1%, bei den Musikberufen auf 28%.

Dankenswerterweise werden die Zahlen für die Musik auch nach Studienrichtungen differenziert ausgewiesen. Die höchsten Ausländeranteile gibt es in den Fächern Instrumentalmusik/Orchestermusik (62%) und Komposition (60,2%).

In der Nische "historische Aufführungspraxis" können die Zahlen natürlich über oder auch unter den 62% liegen. Die Stichprobe von lediglich 12 Solisten (=100%) bei den vier Konzerten ist natürlich nicht aussagekräftig, nährt aber die Vermutung, es könnten doch >62% sein.
 
Die höchsten Ausländeranteile gibt es in den Fächern Instrumentalmusik/Orchestermusik (62%) und Komposition (60,2%).
wow, das hätte ich nicht gedacht. Woran liegt das ? Sind die Berufe zu unattraktiv geworden oder ist die Qualität der Ausbildung in den Musikschulen mittlerweile so niedrig dass viele die Aufnahmeprüfung nicht schaffen ?
 
Dankenswerterweise werden die Zahlen für die Musik auch nach Studienrichtungen differenziert ausgewiesen. Die höchsten Ausländeranteile gibt es in den Fächern Instrumentalmusik/Orchestermusik (62%) und Komposition (60,2%).
Wenn man sich ansieht, welchen großen Anteil Musik aus dem deutschsprachigen Raum an dem Repertoire hat, das in Opernhäusern und Konzertsälen weltweit gespielt wird, ist es eigentlich nicht verwunderlich, dass viele ausländische Musikerinnen und Musiker zumindest eine Zeit lang hier studieren wollen, um Kultur und Sprache kennenzulernen.

Wer sich mit historischer Aufführungspraxis befasst und dafür auch die entsprechenden Instrumente benötigt, für den ist es wahrscheinlich mangels Angebot im Heimatland noch wichtiger, sich in Europa umzusehen.
 
Es gibt doch in Deutschland kaum noch Jugendliche, die sich so stark auf Musik fokussieren können/wollen, dass sie eine Aufnahmeprüfung machen können.

Das machen nur noch einige wenige - nämlich (einige) Sprösslinge aus Musikerfamilien oder aus traditionell orientierten Oberschicht-Haushalten.

Alle anderen "haben zu wenig Zeit", um vernünftig zu üben.

Das ist in vielen anderen Ländern nicht so - da ist entweder der Zeitplan eines Jugendlichen deutlich aufgeräumter, so dass er auch Zeit hat, sich konzentriert mit Musik zu beschäftigen, oder die Gesellschaft ist deutlich leistungsorientierter (Asien).
 
Zugenommen hat in den letzten Jahren zudem der Trend, dass sich (eigentlich talentierte und engagierte) Jugendliche völlig verzetteln, indem sie ihre "Freizeit" mit 587 verschiedenen Aktivitäten (am besten 3 Instrumente, Theater, 2 Sportarten usw.) vollballern. Das führt dazu, dass sie alles ein bisschen, aber nichts "so richtig" können.
 
Ich bin ja der pessimistischen Ansicht, dass die 68 Generation daran einen großen Teil Schuld trägt. Seitdem herrscht neben sehr freiheitlichem Großwerdenlassen der Sprösslinge (das Kind wird gelobt, wenn es einen Fehler macht, damit es bloß nicht in den Frustbereich herabsinkt), auch eine Art Bildungskommunismus: Alle Menschen sind gleich. Und wenn sie es nicht sind, dann werden sie durch Sinken sämtlicher Anforderungen auf ein absolutes Mindestmaß dazu gemacht. 2+2 kriegt jederes hin! Und das ist doch super!
Allerdings kann Musik und das Erlernen eines Instrumentes so nicht funktionieren. Der Wille, Fehler zu verkraften und sich mit ihnen auseinanderzusetzen ist zur Zeit unmodern. Der Chillfaktor ist sehr hoch. Dann gähnt das Kind und holt sich sein Telefon, um darauf zu zocken...
Verzeihung, das musste jetzt mal raus und ich weiß, dass es auch andere gibt! Auf die baue ich und ich freue mich über jeden jungen Menschen mit Enthusiasmus!!
Ich fürchte, dass die Musikhochschulen auf Dauer auch von ihren strengen Aufnahmeregeln abweichen müssen. Schliesslich werden ja Menschen diskriminiert, die nicht schon seit ihrem vierten Lebensjahr ein Klavier zur Verfügung hatten.
Ich sage es Euch: Das wird kommen... :blöd:
 

Es könnte auch - wenigstens zum Teil - an den Nachwirkungen des 3. Reiches liegen. Gerade in der jüdischen Gemeinschaft hatte die Musik schon immer einen sehr hohen Stellenwert. Und die Nazis waren so dämlich, diesen kulturell enorm engagierten Teil der Gesellschaft zu ermorden oder in die Emigration zu treiben. So doof muss man erst mal sein!
 
Ich bin ja der pessimistischen Ansicht, dass die 68 Generation daran einen großen Teil Schuld trägt.
:super:
Es könnte auch - wenigstens zum Teil - an den Nachwirkungen des 3. Reiches liegen.
Ja, da ist was Wahres dran. '33 gab es 560.000 Juden in D, heute knapp 100.000. Genau so dumm übrigens wie die Vertreibung der jüdischen Wissenschaftler.

Aber soviel schlauer sind wir ja nicht geworden. Man hätte sich ja aktiv um die Remigration von Juden bemühen können. Stattdessen lässt man massenweise Antisemiten aus dem arabischen Kulturkreis ins Land.

BTW, wieviel arabischstämmige Musikschüler habt ihr so? Wie hoch mag wohl deren Anteil an den Musikhochschulen sein?
 
Es hängt auch mit dem gesellschaftlichen Ansehen im jeweiligen Kulturkreis zusammen. Man sollte sich nichts vormachen und denken, dass (gesamtgesellschaftlich betrachtet) im ostasiatischen Raum das weitverbreitete Erlernen und ggf. Studieren eines westlichen klassischen Musikinstruments größtenteils auf inIndividuellem Interesse beruht. Oft sind es dort z.B. die Chancen auf dem Heiratsmarkt, die die entsprechende Motivation befördern. Das sagte mir zumindest mal eine koreanische Bewerberin, mit der ich kurz vor ihrer Aufnahmeprüfung darüber gesprochen habe.
 
BTW, wieviel arabischstämmige Musikschüler habt ihr so? Wie hoch mag wohl deren Anteil an den Musikhochschulen sein?

Wie wahrscheinlich ist es denn, dass eine arabischstämmige Familie, die innerhalb der letzten Jahre eingewandert ist, sich einen Lebensstandard erarbeiten konnte, der eine musikalische Ausbildung der Kinder erlaubt?
Die hat ja schon bei den meisten hier ansässigen Menschen keinen Stellenwert mehr. Und hier meine ich nicht eine Hochschulausbildung, sondern ganz einfache Grundkenntnisse, die gemeinsames Singen und Musizieren auf einfachem Level erlauben.
Die Bedeutung der musikalischen Bildung gerade für Kinder mit Migrationshintergrund, die aus bildungsfernen Familien stammen wird meiner Meinung nach total unterschätzt.
 
Wie groß ist der Anteil von Arabern des Publikums eines klassischen Konzerts oder einer Oper? 0,001%?
 
Wie groß ist der Anteil von Arabern des Publikums eines klassischen Konzerts oder einer Oper? 0,001%?
Wenn welche auf der Bühne stehen, kommen sicher auch welche zum zuhören. Dazu fällt mir die Sopranisten Fatma Said ein, sie wurde in Ägypten geboren und hat unverschämterweise in Berlin an der dortigen Hans- Eisler- Hochschule studiert. Bestimmt hat sie auch einige Fans aus ihrem Geburtsland.

Eigentlich ging es aber doch um den Anteil an ausländischen Studenten an den Musikhochschulen.
Da möchte ich den um die Kultur Besorgten raten, mit gutem Beispiel voran zu gehen und die eigenen Kinder und Enkel in Schwung zu bringen, dann klappt es bei denen auch mit dem Studienplatz an der Musikhochschule. :007:
 

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