Wie ist es denn nun richtig?

dibabel

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Entschuldigt die etwas naive Frage. Ich habe mir die Noten zu Haydns Sonate in e-Moll gekauft (Henle) und übe die in der Klavierstunde. Nun hat meine Klavierlehrerin eine andere Ausgabe. Und da sind wirklich ein paar Stellen anders. Zum Beispiel ist an einer Stelle in ihrer Version ein Staccato, wo bei mir ein Legato steht. Und das macht ja schon einen Unterschied.

Und nun? Ich habe eigentlich gar nicht so Lust, über so etwas stundenlang zu diskutieren. Ich fand das mit dem Legato eigentlich schöner, aber nun denn, ich kann auch staccato, aber das steht da halt nicht.

Wie viel Hirnschmalz verwendet man auf solche Unterschiede? Ist Henle verrufen? Streitet man sich in der Musikwelt über so etwas? Mir fehlt da leider der Einblick und Durchblick. Vielleicht könnt ihr mir ein paar Gedankenanstöße geben. Danke.
 
Welche Ausgabe hat denn deine Klavierlehrerin? Und was steht zur betreffenden Stelle in den kritischen Kommentaren am Ende der Notenausgabe?
 
„Urtext“ ist ein gutgemeinter, leider etwas schwammiger Begriff. Es kommt halt darauf an, was der Herausgeber zugrunde legt: Manuskript, Reinschrift, gedruckte erste Ausgabe (wohlmöglich vom Komponisten korrekturgelesen). Da kann es schon zu „gewaltigen“ Unterschieden kommen. Im Falle der Haydn-Sonaten halte ich die Wiener Urtext-Ausgabe (die mit den knallroten Umschlägen) für aussagekräftiger als die (mittlerweile in die Jahre gekommenen) Bände von Henle. Gib doch mal Hoboken-Zahl und Taktnummern an ...
 
Wenn Du Aufnahmen des Stücks von renommierten Pianisten vergleichst, wirst Du feststellen, dass sowieso jeder irgendwelche Aspekte unterschiedlich spielt.

Und Du kannst Gift drauf nehmen, dass die Komponisten es selber auch immer etwas unterschiedlich gespielt haben. Das waren nämlich alles Improvisatoren, und das Kleben an den "heiligen Noten" war damals noch gänzlich unbekannt und wäre auch als kurios empfunden worden.

Wenn Deine KL fähig ist, dann sagt sie nicht "bäbäbä, da steht aber staccato, also beachte genau das staccato", sondern sie ist in der Lage, Dir zu erklären bzw. mit Dir zu diskutieren, welcher "range" an Interpretationsmöglichkeiten angemessen für die betreffende Stilistik bzw. den Personalstil des Komponisten ist bzw. was "out of range" wäre.

Henle ist locker gut genug; das Notenbild sieht zudem besser aus als in diesen roten Bänden. Ob nun irgendeiner einen noch urtextigeren Urtext ausbuddelt, wo an irgendeiner Stelle noch ein paar Staccatozeichen mehr sind, ist echt irrelevant.
 
Ich finde es manchmal etwas belustigend, wie die "Notentexttreue" in meinem Unterricht changiert: an manchen Stellen möglichst genaue Umsetzung des Notierten, dann wiederum, wenn das Notierte einem interpretatorisch nicht so recht in den Kram passt, wird fleißig relativiert. Also mit den richtigen "Tricks" kann man seine Interpretation schon mit dem Notentext vereinbaren. Nach meiner Erfahrung sind Pianisten da ungefähr so versiert wie Theologen bei der Bibelexegese. Es müssen ja auch beide einen heiligen Text auslegen ;)

lg marcus
 
Ich finde es manchmal etwas belustigend, wie die "Notentexttreue" in meinem Unterricht changiert

In meinem Unterricht changiert die "Notentexttreue" je nach Epoche, Stil und Komponist. Manche Komponisten rechnen damit, daß bestimmte Angaben präzise umgesetzt werden, manche Komponisten rechnen mit größerer Freiheit der Ausführung.
Es kann nichts schaden, erst einmal herauszufinden, wie sich der Komponist die klangliche Umsetzung gedacht hat. Wenn man in der Lage ist, das umzusetzen, kann man natürlich auch ausprobieren, ob es nicht auch anders gehen könnte.
 
In meinem Unterricht changiert die "Notentexttreue" je nach Epoche, Stil und Komponist. Manche Komponisten rechnen damit, daß bestimmte Angaben präzise umgesetzt werden, manche Komponisten rechnen mit größerer Freiheit der Ausführung.
Ich meinte schon innerhalb ein und desselben Stückes! Ich sehe das ganze mit Humor und kann allzu verbissene Notentextausdeutungen nicht (mehr) recht ernst nehmen. Meines Erachtens ist auch ein Blick in die Musikphilologie ein gutes Gegengift gegen allzu viel Texttreue. Aber das ist hier eine unpopuläre Einstellung, und so ziehe ich mich gehorsam zurück! :)

lg marcus
 
Ich sage immer meinen Schülern: Ja, immer wieder verlange ich von Euch, dass Ihr es ganz genauso spielt wie es dasteht. Denn man muss IN DER LAGE sein, Artikulationen, Dynamiken, Rhythmusaspekte etc. bei Bedarf genau zu kontrollieren.

Oft genug spielen Schüler ja etwas nur aus dem Grund auf eine bestimmte Weise, weil sie es anders nicht können; oder es "bequemer" ist (uargh); oder sie gar nicht wahrnehmen, dass sie es anders spielen; oder sie sich etwas falsch angewöhnt haben. So etwas "gildet" natürlich nicht.
 
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Danke, mit dem Forum erschließt sich mir die Musikwelt doch wirklich breitgefächert.
 

Meines Erachtens ist auch ein Blick in die Musikphilologie ein gutes Gegengift gegen allzu viel Texttreue. Aber das ist hier eine unpopuläre Einstellung, und so ziehe ich mich gehorsam zurück! :)
Wäre es nicht sinnvoll zunächst zu fragen, was der Komponist geschrieben hat. Dabei fallen immer interessante Dinge auf.
Wenn sich ein Autor sehr viel Mühe gibt GENAU vorzuschreiben, was er will, dann sollten wir gehorsam sein. Hier ist Mozart gutes Beispiel: in vielen Abschnitten in den Klavierkonzerten ist die Notation etwas unfertig (KV 537) und es ist auch bekannt, dass der Klavierpart zuweilen bei der ersten Aufführung noch nicht fertig ausgeschrieben vorlag. Daneben gibt es in den Konzerten aber vor allem in den Sonaten oft SEHR gründlich bezeichnete Stellen.
Die korrekte Ausführung dieser exakt ausgeführten Anschnitte ist oft durchaus nicht einfach oder naheliegend, aber dafür charakteristisch. Ohne wenigstens probiert zu haben den Text genauestens umzusetzen aus geistiger Faulheit irgendetwas zu spielen und sich dann auf die Freiheit des Interpreten zu berufen ist m. E. moralisch bedenklich.
Bei Wiederholungen oder im Falle einer sehr ausgedünnten skizzenhaften Notation mit kleinen geschickten Ergänzungen den Text zu bereichern ist nicht nur möglich, sondern stilistisch angebracht. Aber auch das hat Grenzen: die rechte Hand im 3. Satz von KV 331 in Oktaven zu spielen, weil man halt Oktaven gut kann, geht sicher ebensowenig, wie ein expliziten Staccato bei Mozart in ein legato umzudeuten, oder die Dynamik bei Beethoven willkürlich zu verändern, oder bei Haydn Bässe zu oktavieren.
Ein besonderer Fall ist Liszt, insbesondere die oft sehr dick gepackten Akkorde in sehr tiefer Lage etwas auszudünnen, wie er es selbst in späteren Fassungen vieler Stücke tat, ist sicher kein Verbrechen.

Es braucht also wie immer und überall Kenntnisse um den Einzelfall zu bewerten.
Aber die anfangs postulierte Richtlinie bleibt für mich wichtig: je mehr Aufwand der Komponist bei der Niederschrift getrieben hat, desto stärker fühle ich die Verpflichtung dies dann auch umzusetzen.
 
Ich meinte schon innerhalb ein und desselben Stückes! Ich sehe das ganze mit Humor und kann allzu verbissene Notentextausdeutungen nicht (mehr) recht ernst nehmen.

Was ist denn bitte eine "verbissene Notentextausdeutung"? Wenn ein Kreuz vor dem g steht, empfiehlt es sich, ein gis zu spielen. Wenn ein Staccatopunkt drüber steht, empfiehlt es sich, die Taste etwas früher loszulassen, als wenn ein Legatobogen drüber stehen würde. Wenn der Komponist als Metronomzahl Viertel = 60 angegeben hat, dann probiere ich das Stück in einem Tempo, bei dem jedem Viertel eine Sekunde entspricht.

Es kann in jedem dieser Fälle gute Gründe geben, von den Angaben abzuweichen.
Von einem guten Lehrer würde ich erwarten, dass er im Einzelfall die Gründe erläutert.

Dasselbe erwarte ich von einem guten Schüler, der mir etwas anderes vorspielt, als im Notentext steht.
 
Richtig, nur in diesem Fall hat hier der Thread-Owner Henle Noten mit Legato Notation und die KL hat Noten mit Staccato Notation. Er hat hier einfach gefragt, was ist hier richtig bzw. kann man den Henle Noten trauen.
Der Rest in diesem Faden ist nur ein rund herum. Ich persönlich traue dem Henle Verlag zu, dass er die richtige Quelle hat.

@Pedall, ich hoffe du hast immer die richtigen Noten und vor allem die richtigen Metronomzahlen. Was sich da einige Starpianisten erlauben ist z.T. Haarsträubend. So z.B. Glenn Gould bei der Klaviersonate A-Dur KV 331 seine Andante-Tempo Auslegung. Auch der liebe Horowitz mit seiner Träumereien nahm es auch nicht immer so genau.
 
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Richtig, nur in diesem Fall hat hier der Thread-Owner Henle Noten mit Legato Notation und die KL hat Noten mit Staccato Notation. Er hat hier einfach gefragt, was ist hier richtig bzw. kann man den Henle Noten trauen.
Der Rest in diesem Faden ist nur ein Bla Bla rund herum. Ich persönlich traue dem Henle Verlag zu, dass er die richtige Quelle
Das im Zitat fettgedruckte will ich ja nicht zu genau nehmen, aber Bla Bla ist für mich was anderes.
 
Er hat hier einfach gefragt, was ist hier richtig
Die läßt sich eventuell beantworten, wenn Hoboken-Nummer und Taktzahlen genannt werden.

... bzw. kann man den Henle Noten trauen.
Die Frage wurde bereits beantwortet.

Ferner wurde gefragt:
Streitet man sich in der Musikwelt über so etwas? Mir fehlt da leider der Einblick und Durchblick. Vielleicht könnt ihr mir ein paar Gedankenanstöße geben. Danke.
 
Sorry für das bla bla, ich habe es korrigiert. Trotzdem, Achtung vor dem Schöpfer (hier Komponist), moralisch bedenklich etc. ist mir auch zu dick aufgetragen. Ja, Werktreue soll man anstreben und auch realisieren. Nur muss man auch bedenken, dass man damals (vor allem in der Barockzeit) nicht die gleichen Instrumente hatte. Ein Staccato am Cembalo hört sich viel weicher und angenehmer als das gleiche am modernen Flügel gehämmert.
 
Sehr interessant, was ihr so schreibt. Ja, ich meinte die von trm eingestellte Sonate, die sich hier ganz anders anhört (ruhiger, gefällt mir besser) als bei der Version von Bernd Glemser, die ich auf Spotify habe. So möchte ich die spielen können ... Ich sehe schon, das ist wie halt sonst auch: Es gibt oft keine einfachen Antworten, sondern meist ein kommt-drauf-an. Bei Literaturübersetzungen kann man ja ähnlich herumforschen, wie etwas gemeint ist und am besten umgesetzt wird. Und man braucht halt Kenntnis und Erfahrung. Ich bin ja schon froh, wenn ich die Zeichen verstehe, die da im Text stehen und mir die KL zeigt, wie ich das spiele. Da verwirrt es mich, wenn es verschiedene Varianten gibt, aber gut, wie ich sehe, damit muss man leben. Aber wie viel es dabei zu beachten gibt, hat sich mir bisher nicht so offenbart.
 
Sehr interessant, was ihr so schreibt. Ja, ich meinte die von trm eingestellte Sonate [...] Da verwirrt es mich, wenn es verschiedene Varianten gibt, aber gut, wie ich sehe, damit muss man leben.

Bei dieser Sonate liegt es wohl vor allem daran, daß es weder eine Fassung von Haydns Hand noch einen von Haydn korrekturgelesenen Druck gibt.
Deine Henle-Ausgabe hat sicher einige Staccatopunkte oder Legatobögen, die in Klammern stehen. Diese gehen auf abweichende Handschriften zurück. Die Herausgeber müssen sich dann halt für eine Auswahl von Varianten entscheiden.
Bei handschriftlichen Noten ist es auch manchmal nicht eindeutig, ob ein Legatobogen über zwei oder drei Noten geht. Solche Dinge schlagen sich in unterschiedlichen Druckausgaben nieder.
(Im 19. und 20. Jahrhundert entstanden allerdings auch Ausgaben, die sich wenig um die alten Handschriften scherten und den Notentext mit haufenweise Bögen, Punkten, Angaben zur Dynamik usw. "aufmotzten".)
 
Ich persönlich traue dem Henle Verlag zu, dass er die richtige Quelle hat
Die richtige Quelle ist gelegentlich schwierig!
Beispiel Chopin: der verkaufte seine Werke an verschiedene Verlage, es gibt also oft 2 Erstausgaben, bei denen Chopin korrigierend eingegriffen hat oder nicht. Ziemlich häufig ist ein Briefwechsel mit dem Verleger (unvollständig?!) zu Korrekturen erhalten. Oder auch nicht!
Dann gibt es die Handschriften von Entwurf bis Reinschrift, die Abschrift des Kopisten, Exemplare von Schülerinnen, in denen er Korrekturen angemerkt hat, ...
Alle diese Quellen können in Kleinigkeiten (und gelegentlich auch in Großigkeiten) abweichen. Viel Vergnügen beim Suchen nach der RICHTIGEN Quelle.
 
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