Gehörbildung - Praktisch anwenden?

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Hallo,

ich beschäftige mich jetzt schon eine längere Zeit mit Gehörbildung. Aber ehrlich gesagt, frag ich mich, wozu sie überhaupt gut sein soll.

Ich kann Intervalle sehr gut bestimmen, Skalen hören ist kein Problem, Melodien raushören geht noch gerade so, Akkorde kann ich nicht so gut, aber Kadenzen kann ich sehr gut.

Aber: Was bringt mir das, wenn ich es nicht praktisch anwenden kann? Das ist ja genauso, wenn man jemanden an Land beibringt, wie man schwimmt. Er weiß dann, wie er seine Arme bewegen muss, damit er Brust schwimmt. Aber dadurch kann er noch lange nicht schwimmen.

Deswegen wollte ich mal fragen, wie ich am besten anfange, denn aller Anfang ist schwer.

Mein Ziel ist es nicht allzu schwere Stücke rauszuhören und in Noten umzuschreiben. Und zwar nicht nur Melodien, sondern auch beispielsweise die Begleitung. Oder polyphone Stücke Bachs, wenn das überhaupt möglich ist.

Wie gehe ich am Besten vor?

Mit welchen Stücken könnte ich beispielsweise anfangen?
 
Aber: Was bringt mir das, wenn ich es nicht praktisch anwenden kann? Das ist ja genauso, wenn man jemanden an Land beibringt, wie man schwimmt. Er weiß dann, wie er seine Arme bewegen muss, damit er Brust schwimmt. Aber dadurch kann er noch lange nicht schwimmen.

und womit begründest Du die Annahme, dass Gehörbildung dem Trockenschwimmen gleicht?

für den Verlauf von Melodien nicht nur bzgl. der Invervallfolgen, aus denen sie bestehen, sondern gerade in ihrem Verhältnis zum Bass, zu Nebenstimmen und zur accompagnierenden oder kommentierenden Harmonik ist Gehörbildung sehr relevant - - denn mit der Zeit erwirbt man die Fähigkeit, polyphon zu hören/wahrzunehmen.

ebenso ist das zu Klangkontrolle beim Klavierspiel mehr als nur hilfreich: etwa zu hören, wie sich die Klangschichten zueinander verhalten und verändern.
 
Stücke transkribieren ist doch Gehörbildung :D
 
und womit begründest Du die Annahme, dass Gehörbildung dem Trockenschwimmen gleicht?

Als ich die Prüfung für Musik machte, waren während der Gehörbildung folgende Aufgaben gegeben:

  • Intervalle (sukzessiv/simultan)
  • Skalen
  • Melodie
  • Akkorde
  • Kadenzen
Darauf habe ich mich entsprechend vorbereitet.

Ich kann jetzt nur Intervalle, Skalen, Melodien, Akkorde und Kadenzen bestimmen.

Aber transkribieren kann ich trotzdem nicht.

Deswegen frage ich, wie und womit ich am besten anfange?
 
Nimm doch mal die C-dur-Invention!
Ein paar andere Ideen:
Der Beginn des dritten Schubert-Impromptus.
Sonata Facile von Mozart
Fröhlicher Landmann von Schumann
Dr Gradus ad Parnassum von Debussy
 
Als ich die Prüfung für Musik machte, waren während der Gehörbildung folgende Aufgaben gegeben:

  • Intervalle (sukzessiv/simultan)
  • Skalen
  • Melodie
  • Akkorde
  • Kadenzen
Darauf habe ich mich entsprechend vorbereitet.

Ich kann jetzt nur Intervalle, Skalen, Melodien, Akkorde und Kadenzen bestimmen.

na, das ist doch schon eine ganze Menge, und das wird es Dir ermöglichen, jeden Fehler sofort zu hören, wenn Du z.B. die erste Invention in Des-Dur spielst!

ansonsten solltest Du Dein bisheriges hören können auch auf die Veränderungen von Klangverläufen anwenden, wie ich es beschrieben hatte - so nimmst Du peu a peu immer mehr wahr.
 
Jau, danke für die Vorschläge.

Ich hab mich mal an Schuberts Winterreise gewagt und das erste Stück aus diesem Zyklus genommen, nämlich "Gute Nacht". Und bin schon nach 2 Takten gescheitert.

http://www.youtube.com/watch?v=TSujmg6coWY

Die Tonart zu bestimmen war kein Problem.

Bei der Taktangabe lag ich falsch. Es ist kein 4/4-Takt, sondern ein 2/4-Takt. Wie höre ich sowas?

Die Melodie war kein Problem.

Die Anfangsakkorde hatte ich sogar richtig geraten. Und bei dem Akkordwechsel taaa-ta taaaa wusste ich nicht weiter, also habe ich aufgegeben.

Melodien sind bei mir echt nicht das Problem. Aber ein harmonisches Konstrukt zu erkennen, das kann ich nicht.

Wie kann ich beispielsweise den zweiten Akkord in Schuberts "Gute Nacht" herausfinden?

Das Klavier darf selbstverständlich zur Hilfe genutzt werden. Noch lieber wäre es mir, sich nicht am Klavier zu orientieren, sondern an der eigenen Stimme oder noch besser: An meinen eigenen Gedanken.
 
Ich hab mich mal an Schuberts Winterreise gewagt und das erste Stück aus diesem Zyklus genommen, nämlich "Gute Nacht". Und bin schon nach 2 Takten gescheitert.

mir scheint, Du willst ganz schnell sofort alles können?

fang doch etwas kleiner an - und spiel viele exemplarische Akkordfolgen - - ansonsten transponier praktisch ganz leichte Stücke und versuch, takt- oder motivweise einfachst strukturierte Stücke ohne Instrument allein nach dem Hören zu notieren: dann spielst Du das notierte und vergleichst es mit dem Gehörten - stimmt es nicht überein, dann muss halt öfter gehört werden.
 
mir scheint, Du willst ganz schnell sofort alles können?

fang doch etwas kleiner an - und spiel viele exemplarische Akkordfolgen - - ansonsten transponier praktisch ganz leichte Stücke

Das ist ja kein Problem. Eine Stimme aus einer Fuge am Klavier langsam in einer anderen Tonart zu spielen das ist für mich einfach.

und versuch, takt- oder motivweise einfachst strukturierte Stücke ohne Instrument allein nach dem Hören zu notieren

Schuberts "Gute Nacht" aus der Winterreise ist doch ein sehr einfach strukturiertes Stück.

Ich scheitere nur daran, die Akkorde, bzw. simultane Klänge rauszuhören.

Ich halte es beispielsweise für unmöglich einen fünfstimmigen Akkord (z. B. c-g-c1-e1-b1-d2) mit genau den gespielten Tönen herauszufinden.

Ob es jetzt ein Akkord mit Grundton im Bass, oder Sextakkord oder Quartsextakkord ist, das ist ja kein Problem. Aber wie die Lage der Töne aussieht, das kann ich nicht erkennen.
 
Versuchs doch mal mit meinem vorgeschlagenen Debussy, das sind ja quasi nur Akkordbrechungen, das könnte dir helfen.

Du findest also simultanes Hören schwieriger als sukzessives, das heißt, du hörst eher Melodisch.
Versuch doch, harmonisches und melodisches Hören zu verbinden, bzw. entscheide selbst, was von beidem du auf Gehörtes anwenden möchtest.

Wenn du nun so einen (verminderten) Akkord hörst wie im Schubert - überlege einmal ganz genau, was du überhaupt hörst.
Du hörst einen Akkord, soviel steht fest. Was macht der Akkord mit dir? Wenn du nicht sofort erkennst, was das ist, nähere dich von verschiedenen Seiten.


Erkenne, ob der Akkord Dur oder Moll ist, und falls er das ist, erkenne, ob der Akkord grundstellig ist (welcher Ton ist im Bass?) und am besten, welche Lage er hat (welcher Ton ist der oberste?).

Wenn der Akkord kein gewöhnlicher Dur/Moll-Akkord ist, sind weitere Möglichkeiten "vermindert" und "übermäßig". Kannst du die erkennen und auseinanderhalten? Wenn nicht, übe das (z.B. indem du dir einen Ton gibst und selbst darüber oder darunter oder außen herum einen solchen Akkord vorstellst und singst).

Weiterhin gibt es natürlich noch Septakkorde. Kannst du die hören und unterscheiden? Große / Kleine Septe, Dur/Moll-Terz, einfach vermindert, zweifach vermindert, Umkehrungen?
Wenn nicht, übe auch das durch das Tonanschlagen, Vorstellen, Singen, Spielen.

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Es gibt mehrere Möglichkeiten, einen Akkord zu identifizieren.

Die schnellste ist die schwierigste: Hören und sofort wissen. Das muss sein wie bei einem Absoluten Gehör, vielleicht kennst du dieses Sofort-Wissen-Gefühl von Intervallen oder vom Dur/Moll-Erkennen.
Du hörst einen Akkord und weißt einfach sofort - das war jetzt ein Übermäßiger.
Das geht über den Klangcharakter. Du weißt eben wie sich so ein übermäßiger Akkord anfühlt, vielleicht geheimnisvoll, etwas sphärisch und entrückt, vielleicht hast du eine Farb- oder Formvorstellung oder eine räumliche Vorstellung, ein bestimmtes Gefühl, was du bei dir selbst wahrnimmst und eines, mit dem du den Klang charakterisierst usw. usf.
Das alles stellt sich ein, wenn du das hörst, und binnen Sekunden oder Sekundenbruchteilen hat es sich stabilisiert und du weißt, was du hörst.
(Das geht auch mit Intervallen. Man stellt sich Fragen wie "Leer oder voll", "Konsonant oder dissonant", "Sehr dissonant oder etwas dissonant", "eng oder weit".
Setz dich mal mit den Klangcharakteren von Akkorden auseinander.

Nächste Möglichkeit:
Du suchst dir den tiefsten Ton und versuchst, Intervallabstände zu hören.
Das wären die inneren Intervallabstände und das Rahmenintervall. Wenn du z.B. als Rahmenintervall eine kleine Sexte hast, ist die Akkordauswahl schon sehr eingeschränkt.
Wenn du dann hörst, dass dazwischen nur noch ein einzelner weiterer Ton liegt, ist sie noch weiter eingeschränkt usw.

Was ich nun meine mit dem melodischen und akkordischen Hören:
Wenn du einen simultanen Akkord hast, versuche einfach, ihn sukzessiv wahrzunehmen. Suche dir den untersten Ton, konzentriere dich darauf, dann hörst du den nächsthöheren Ton usw. bis nach oben. Versuche, die Töne nacheinandder zu isolieren und hervorzuheben, so als wären sie lauter als die anderen Vielleicht gelingt es dir, einen Akkord so wahrzunehmen als hätte man ihn mit dem Haltepedal angeschlagen und würde dann die Töne nochmal alle einzeln anschlagen.
Andersherum sollte es dir auch möglich sein, eine harmonische "Invervallfolge" als Akkord wahrzunehmen, indem du dir die gespielten Töne merkst und sie in deinem Kopf zu einem Akkord zusammensetzt.

Wenn die Unterscheidung "simultan, sukzessiv" also kaum mehr eine Rolle spielt, hast du sozusagen drei Möglichkeiten der Identifikation:

- (klang-)charakterliche, gefühlsmäßige Identifikation
- intervallische Identifkation (aha - G3, k3, k3 -> Septakkord)
- melodische Identifikation (welche "Melodie" ergibt sich, wenn ich einen Akkord aufspalte? Das ist noch etwas anders als die intervallische Identifkation, denn da musst du die Intervalle nicht bewusst bestimmen und benennen).

Wenn du alle drei Methoden gleichzeitig anwendest, kannst du kaum mehr falsch liegen.
Vielleicht hilft das etwas.

Gruß
Stilblüte
 
Es gibt mehrere Möglichkeiten, einen Akkord zu identifizieren.

Hallo Stilblüte,

Applaus von einem mitlesenden Späteinsteiger.
"Zum Ausdrucken und an die Wand hängen!!"

Außerdem eine großartige Zusammenfassung dessen, was mein Klavierlehrer mit mir in Gehörbildung macht. Ich wollte es immer mal selbst aufschreiben.
Jetzt hast du es gemacht!
Gehörbildung ist bei mir auf eigenem Wunsch Bestandteil des Unterrichts, um die Stunde aufzulockern. Bringt mir fast mehr Spaß, als das Spielen selbst.:p

Danke!

Gruß, NewOldie
 
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