Flügel Neubesaitung Geradsaiter

  • Ersteller des Themas Joachim Kremer
  • Erstellungsdatum

J

Joachim Kremer

Dabei seit
20. Nov. 2023
Beiträge
7
Reaktionen
8
Ich wende mich hier an solche Klavierbauer, die mit etwas entlegener Materie schon zu tun hatten. Ich habe keinen Gesellenbrief, aber für viele Jahre mit der Restaurierung von Flügeln Erfahrungen gesammelt. Jetzt bin ich mit einem etwas kniffligen Problem konfrontiert. Ich habe einen Geradsaiter von Breitkopf und Härtel wider jede Vernunft erworben. Er ist unfassbar gut erhalten und stammt aus 1860. Die Besaitung scheint wirklich uralt zu sein (die Hammerköpfe sind ein Mix aus Leder und Filz und ganz bestimmt original), möglicherweise ist es auch die erste Besaitung. Es gibt keinerlei Hinweise, dass der Resonanzboden in den letzten 100 Jahren gespänt worden ist. Er hat einfach keine Risse. Ich möchte ihm neue Saiten gönnen und die neue Mensur rechnen und zwar so, dass er ohne zu viel Spannung ertragen zu müssen den Kammerton von 440 erreicht, damit Kammermusik mit ihm möglich ist. Jetzt interessiert mich, für welche Saitenspannung er damals ausgelegt war. Er steht auf 397 Hz und das kann 1860 in Leipzig nicht vorgesehen gewesen sein. Eher etwas in Richtung 430 oder 435, so meine Einschätzung. Wenn der Kammerton bekannt ist und man von der originalen Mensur ausgehen kann, lässt sich die Spannung leicht zurück rechnen.
Was ist die Ansicht von Fachleuten zu dieser Frage?
 

Anhänge

  • Screenshot_2023-11-12-21-33-47-739-edit_com.ebay.kleinanzeigen.jpg
    Screenshot_2023-11-12-21-33-47-739-edit_com.ebay.kleinanzeigen.jpg
    485,5 KB · Aufrufe: 99
  • Screenshot_2023-11-14-09-29-52-496_com.ebay.kleinanzeigen.jpg
    Screenshot_2023-11-14-09-29-52-496_com.ebay.kleinanzeigen.jpg
    108,4 KB · Aufrufe: 100
Ich hab keine Ahnung was dein Problem betrifft, aber der Flügel ist unglaublich schön!
Ich kann dein Engagement total nachvollziehen!

Viel Erfolg bei deinem Unterfangen!
 
Eher etwas in Richtung 430 oder 435, so meine Einschätzung. Wenn der Kammerton bekannt ist und man von der originalen Mensur ausgehen kann, lässt sich die Spannung leicht zurück rechnen.
Was ist die Ansicht von Fachleuten zu dieser Frage?

Da liegst schon richtig.

Zwischen 432 und 435 hz lag die alte Stimmung.

Sollte die alte Mensur mit neuen Saiten absolut aushalten.

Es macht keinen Sinn, die Mensur auf 440 Hz oder höher berechnen zu lassen, die Konstruktion des Instrumentes ist für solche Tonhöhe nicht vorgesehen.

Du kannst ja mal versuchen ihn hoch zu stimmen auf 435 Hz.

Unter Umständen halten es die Saiten sogar noch aus.

Wenn welche reißen, liegt es nicht an der Mensur, sondern einfach nur, daß die Saiten verzeitet sind.
 
Hallo Henry, vielen Dank für Deine kundige Rückmeldung. Mir machen die Saiten nicht die großen Sorgen, sie werden ja eh ausgetauscht, sondern die sehr schlanke Konstruktion des "Rahmens", der ja nur aus Streben verschraubt ist und noch dazu die statische Schwäche des Geradsaiters hat. Der größte Schwachpunkt ist, aus leidvoller Erfahrung, bei den ganz alten Konstruktionen das Widerlager der Streben am Stimmstock. Zu hohe Saitenspannung führt dazu, dass diese Blöcke aus Guss ins Holz hineingedrückt werden und der Stimmstock sich trotz Verbindung mit dem Gehäuse nach vorne bewegt und dabei kippt. Die Stimmung sackt so immer wieder ab. Ich werde mal die Saitenstärke in der Mitte messen und dann ausgehend von 432 Hz nachrechnen, bei welcher Saitenspannung ich lande. Ich vermute um die 420 N. Ich melde mich demnächst nochmal, wenn der Flügel in der Werkstatt ist. Das ist bald der Fall.
Die Tonhöhe ist dem Flügel ja eigentlich egal, solange er nicht zu sehr belastet wird. Er hat ja außerdem die Tonhöhe, die will. Nur liegt die im Moment auf einer falschen Taste. Mit dünnerem Draht habe ich bei gleicher Spannung einen höheren Ton. Er klingt dann insgesamt vermutlich etwas dünner, aber das ist okay. Er muss keinen Saal mit Klang erfüllen.
 
Die Tonhöhe ist dem Flügel ja eigentlich egal, solange er nicht zu sehr belastet wird. Er hat ja außerdem die Tonhöhe, die will. Nur liegt die im Moment auf einer falschen Taste. Mit dünnerem Draht habe ich bei gleicher Spannung einen höheren Ton. Er klingt dann insgesamt vermutlich etwas dünner, aber das ist okay. Er muss keinen Saal mit Klang erfüllen.

Ich würde die originale Mensur beibehalten, eine Änderung der Mensur bedeutet auch immer Klangverlust.

Nicht nur in der Dynamik, sondern auch im Allgemeinklang wird das Instrument damit entwertet.

Wenn der Stimmstock kippt, muß er möglicherweise stabilisiert werden, das kommt bei sehr alten Instrumenten zuweilen vor.

PS. mach mal ein paar Innenaufnahmen vom Instrument.
 
Ich habe die Restaurierung des Bechstein-eigenen Flügels aus 1862 hier in Wien genauestens verfolgt und die von Dir beschriebenen Probleme mit zu hoher Saitenspannung sind real und haben bei diesem Flügel tatsächlich zu massiven Schäden am Stimmstock geführt. Nach Restaurierung des Stimmstocks und aller anderen schlecht gealterten Komponenten wurde die Neubesaitung mit Draht von Paulello durchgeführt. Paulello bietet verschiedene Saiten mit unterschiedlichen Härtegraden an, eine Anfrage bei ihm direkt reicht üblicherweise aus, für den jeweiligen Flügel die richtigen Saiten zu finden und sich das Berechnen einer neuen Mensur zu ersparen.

Die Baßsaiten Deines Flügels werden wohl noch eine Umspinnung aus Eisen haben und ein befreundeter Klavierbaumeister mit Erfahrungen in diesem Bereich riet mir dazu, bei meinem Bechstein von 1861 (sehr ähnliche Bauform zu Deinem) zu versuchen, diese Baßsaiten zu erhalten. Neue Saiten kann man immer noch draufmachen, wenn der Versuch fehlschlägt.

Den restaurierten 1862er habe ich seinerzeit nach Vorgabe durch den Restaurateur auf 443Hz gestimmt, was problemlos möglich. Er wird wieder abgesackt sein, eben weil es neue Saiten waren, aber eben nicht die ganz modernen mit signifikant höheren Zugkräften.

Viel Erfolg mit dem Instrument und berichte über den Fortschritt!
 
Lieber OE1FEU, vielen Dank für deine interessanten Hinweise! Ich wusste von Paulello Saiten bisher nichts. Ich habe Rollen mit Röslau von allen denkbaren Größen. Ich vermute, dass Röslau dem Typ M entspricht?

Die Bass-Saiten sind tatsächlich teilweise mit Eisendraht umsponnen. Welchen Nutzen hat aber der Hinweis, diese möglichst zu erhalten, wenn sie bestimmt nicht dem Kammerton von 440 Hz entsprechen können? Ich habe die Wahl zwischen Pest und Cholera und ich bin bereit Abstriche in klanglicher Hinsicht in Kauf zu nehmen, wenn die 440 Hz erreicht werden können.

Ich sehe, dass Paulello in Tabellen die veränderten Eigenschaften der Stahlsorten in Bezug auf die Spannung und Tonhöhe angibt.

Sobald ich das Instrument endlich habe, werde ich detaillierte Aufnahmen machen.
Ich bedanke mich nochmal für die Paulello-Hinweise und überlege dort einen kompletten Neubezug anfertigen zu lassen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich wusste von Paulello Saiten bisher nichts. Ich habe Rollen mit Röslau von allen denkbaren Größen. Ich vermute, dass Röslau dem Typ M entspricht?

Die Bass-Saiten sind tatsächlich teilweise mit Eisendraht umsponnen. Welchen Nutzen hat aber der Hinweis, diese möglichst zu erhalten, wenn sie bestimmt nicht dem Kammerton von 440 Hz entsprechen können? Ich habe die Wahl zwischen Pest und Cholera und ich bin bereit Abstriche in klanglicher Hinsicht in Kauf zu nehmen, wenn die 440 Hz erreicht werden können.

Ich sehe, dass Paulello in Tabellen die veränderten Eigenschaften der Stahlsorten in Bezug auf die Spannung und Tonhöhe angibt.

Sobald ich das Instrument endlich habe, werde ich detaillierte Aufnahmen machen.
Ich bedanke mich nochmal für die Paulello-Hinweise und überlege dort einen kompletten Neubezug anfertigen zu lassen.

Typ M ist weicher als Röslau, kann aber durchaus für modernere Instrumente verwendet werden.

Eisenumspinnungen macht Heller durchaus auch - die klingen etwas brillianter als die Kupferumsponnenen, von daher macht es Sinn, solche nach dem Blankbezugübergang daher zu nehmen, damit es keinen großen klanglichen Bruch gibt.

Einen kompletten Neubezug nach altem Muster würde ich auf jeden Fall nehmen, bei der Gelegenheit sollte man auch gleich die Wirbel mitwechseln.

Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Wirbel bei diesem alten Instrument noch so sonderlich fest sitzen.

Abgesehen da von, ist das Neubeziehen mit neuen (stärkeren ) Wirbeln , weniger Arbeitsaufwand.
 

Also...ein kleines Update.
Der Flügel hat eine Saitenspannung von ca. 400 N, zum Diskant hin auf ca. 300 N. abfallend. Ich habe einen neuen Blankbezug und Bassbezug gerechnet unter Einbeziehung von Paulello Typ 1 und 2, weil sich so ein gutes Streckungsverhältnis erreichen lässt. Der Flügel hat eine sehr eigenwillige Stoßzungenmechanik um deren Verschwinden es nicht schade ist, aber ich habe ich gereinigt, nachgestellt und Schadhaftes ausgewechselt. Die Hammerköpfe sind raus geflogen und durch neue ersetzt. Wer die alten haben möchte, kann sich gerne bei mir melden. Bilder von ihnen stelle ich noch rein.

Die Spielmechanik wird am Wochenende fertig, dann kommt der neue Bezug drauf und dann abwarten und stimmen, stimmen stimmen. Ich schreibe hier noch mit zahlreichen Bildern der Restaurierung.
 
Ein kleines Update: der Flügel ist mit Paulello neu besaitet, die Mensur neu gerechnet. Das eigentlich Anstrengende trat bei der Demontage der Spielmechanik zutage: die Hämmer waren in Einheiten zu je ca. 20 aufgefädelt auf einer gemeinsamen Achse aus Messing. Sie konnten also nie ausgerichtet werden. Ich habe diesen Blödsinn beendet und für jeden Hammer ein eigenes Gelenk angefertigt. Die Hammerköpfe sind größer und schwerer als die Originalen, allerding klingen sie annehmbar und der "Originalklang" mit diesen Filzlederdingern hat mich nie interessiert.1000015664.jpg
 

Anhänge

  • IMG-20240825-WA0004.jpeg
    IMG-20240825-WA0004.jpeg
    344,7 KB · Aufrufe: 30
  • 20240914_140228.jpg
    20240914_140228.jpg
    216,9 KB · Aufrufe: 33
  • 20240914_140231.jpg
    20240914_140231.jpg
    208,7 KB · Aufrufe: 33
  • 20240914_145222.jpg
    20240914_145222.jpg
    253 KB · Aufrufe: 34
  • 20240914_140637.jpg
    20240914_140637.jpg
    109 KB · Aufrufe: 33
  • 20241003_174735.jpg
    20241003_174735.jpg
    407,3 KB · Aufrufe: 29
Ist das früher üblich gewesen? Noch nie davon gehört.
Grundsätzlich üblich eher nicht.

Kommt aber zuweilen bei älteren Instrumenten (insbesondere aus den USA, denke ich mal) vor.

Ist mir auch schon hin und wieder untergekommen - saublöd wenn so ein Teil gebrochen ist; entweder kennt man da drüben jemanden der es einem besorgen kann, oder es geht ans feilen.
 
Stimmt, bei einigen französischen Herstellern wurd des auch verwendet - aber daß des jetzt üblich war...?

Es wurd ja von verschiedenen Pianofortefabriken so einiges ausprobiert, man denke nur mal an diese ganzen "Patentmechaniken.
 
Wie gesagt, hab ich schon oft gesehen, auch bei deutschen Herstellern. Mittlerweile nicht mehr, weil die ganzen uralt Kisten ja aussterben.
 
Die sind ausgetucht, man sieht es nur nicht. Ich habe einen Spalt eingefräst und die Betuchung rechts und links ist erhalten geblieben. Einige wenige muss ich neu betuchen.
 

Zurück
Top Bottom