Kirchenlieder als Pianist an der Orgel begleiten

Bin neu hier.
Pensionierter Schulmusiker mit 50 Jahren Liedbegleitung auf allem was dazu taugt: Klavier, Orgel, Harmonium, Gitarre, Akkordeon. Seit Pensionierung wöchentlich 2- 4 Gottesdienste in 11 verschiedenen ev. Und kath Kirchen, mit leider nie mehr als 8 bis 30 Besuchern. Selten volles Haus.

Bin erfreut über die vielen Erfahrungsberichte hier. Für mich besonders wertvoll, weil ich grad an einer Bilanz der sehr vielen Methoden und Stile des Begleitens arbeite, vor allem für Neuanfänger bzw. Umsteiger von p zu org.

Vorweg:
1. Bachs vierst. Choräle sind m.W. vorwiegend elaborierte Chorsätze (besonders etwa im Tenor), die der praktischen Gemeindebegleitung nicht förderlich sind.
2. der 16‘ im Bass wird überschätzt.
3. schätzungsweise die hälfte der Kirchenlieder, incl der „modernen“, werden durch Kantionalsatz o.ä. vierstimmige Versuche verfälscht oder umständlich.
4. man unterschätze nicht die Wirkung von Reduzierung der Stimmenzahl (liedzeilenweise!) von 3st bis Unisono in doppelter Oktav (textabhängig angewendet)
5. Der so genannte Fauxbourdon, alleine oder mit Stütztönen im Bass, wirkt oft stilistisch einwandfrei, besonders für „alte“ Lieder.
6. viele (neuere) digitale Instrumente haben eine automatische Pedalkoppel, die den jeweils untersten Ton des Satzes ins (eigen registrierte) Pedal nimmt.
7. weniger regeln, dafür spielfreude ist der beste Ratgeber.
8. 90% der GD-Besucher „haben keine Ohren“ (JSBach über die Leipziger). So what?
9. Die Gemeinden (jede ist anders konditioniert in Tempo, Zäsuren, Atempausen, Rhythmen) brauchen sichere und entschiedene Führung. Die Artikulation der Begleitung lebt vom richtigen LOSLASSEN der Orgeltöne, Ähnlich Abschlag und Auftakt beim Chordirigieren. Geht auf dem Klavier natürlich anders und besser. Und auf dem Harmonium gar nicht. 😂 That‘s the Point.
10. Tonsatzregeln (etwa das Quintpaarllelengespenst) taugen für Klausuren an der Hochschule. Nicht für die Praxis. Denn da macht man Musik als Kür, nicht als Pflicht vor Kampfrichtern oder dem eigenen Überich.

Bin gespannt auf Weiteres. Falls noch Interesse da ist.
 
Mit 50 Jahren Praxis hinsichtlich Liedbegleitung sollte man dir die Ehrendoktorwürde verleihen.
Die Orgel-Akademie mit Sitz in Niederbuttbeutel ist dafür zuständig.
:017:
 
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Das ist meine Urkunde zur Verleihung der Doktorwürde. Meinen Namen habe ich retuschiert.
 
@altermann: Du hast es versäumt, Deinen Namen einzusetzen. Wie dilettantisch ist das denn?

LG von Rheinkultur
P.S.: "Gauf" vergessen!
 
Als in unserer Kirchengemeinde bekannt wurde, dass ich Ehrendoktor bin kam der Gruss einer Frau (Ich saß an der Orgel):
Guten Tag Herr Doktor!
Ich erwiderte: Machen sie sich schon mal frei.
Darauf hat sie geantwortet: Da kannste hinterher nimmer Orgel spielen.
:017:
 
Herzlich willkommen. Und nicht abschrecken lassen von dem einen oder anderen Witzchen, manchmal findet man hier sogar intelligente Beiträge.

Pensionierter Schulmusiker mit 50 Jahren Liedbegleitung auf allem was dazu taugt: Klavier, Orgel, Harmonium, Gitarre, Akkordeon. Seit Pensionierung wöchentlich 2- 4 Gottesdienste in 11 verschiedenen ev. Und kath Kirchen, mit leider nie mehr als 8 bis 30 Besuchern. Selten volles Haus.
Wenn das keine reiche Praxiserfahrung ist, was dann?

Für mich besonders wertvoll, weil ich grad an einer Bilanz der sehr vielen Methoden und Stile des Begleitens arbeite, vor allem für Neuanfänger bzw. Umsteiger von p zu org.
Es gibt hier inzwischen etliche Fäden zu Fragen der Begleitung einfacher Melodien und Volksweisen, auch da ist die obengenannte Expertise absolut am Platze. In der Ausbildung nebenamtlicher Musiker für Organistendienste scheint da auch bei den Praktikern, die für die Ausbildung verantwortlich zeichnen, so einiges im Argen zu liegen. Der Bewerbermangel an ambitionierten C-Organisten hat mehrere Gründe, aber es gibt mir zu denken, wenn eine befreundete hauptamtliche evangelische Kirchenmusikerin mir von einer C-Kandidatin berichtet, die einerseits umfangreichste kirchenmusikgeschichtliche und/oder Liturgik-Kenntnisse vorweisen muss und zugleich in wildeste Panik gerät, wenn sie simpelst gestrickte Gemeindelieder mit bescheidenen Satzweisen so begleiten soll, dass eine singerprobte und aufgeschlossene Gemeinde beim Gottesdienst danach singen kann. Da gibt es einige Personen, die eine solche Bilanz gerne und mit Erkenntnisgewinn lesen würden - sicher auch hier im Forum.

7. weniger regeln, dafür spielfreude ist der beste Ratgeber.
Die meisten angeführten Punkte sind praxiskonform zur Sprache gebracht. Spielfreude und nicht Überfrachtung ist sehr wichtig - aber auch die Zweckmäßigkeit der Begleitung im Einzelfall. Choralartig getragene Liedvorlagen können durchaus vollgriffig begleitet werden, bei flüssigeren Tempi sollte das Satzbild beweglich angelegt sein, da genügen Zwei- bis Dreistimmigkeit oder fallweise Stützakkorde, oftmals ist weniger dann mehr. Den Gemeindegesang führen gelingt nicht, wenn man sich selbst im Weg steht.

9. Die Gemeinden (jede ist anders konditioniert in Tempo, Zäsuren, Atempausen, Rhythmen) brauchen sichere und entschiedene Führung. Die Artikulation der Begleitung lebt vom richtigen LOSLASSEN der Orgeltöne, Ähnlich Abschlag und Auftakt beim Chordirigieren.
Nicht zu vergessen ist die zweckmäßige Registrierung des Instruments mit schnell ansprechenden und akustisch eindeutigen Registern, daher die Abschnitte mit Gemeindegesang auf der Grundlage der Prinzipalregister anlegen, mit Flötenregistern gelingt das Mitsingen nicht. Stehen zwei oder mehr Manuale zur Verfügung, wird man gerne die Melodie mit einem Soloregister herausheben und die Begleitung auf einem anderen Manual mit weniger präsenter Registrierung ausführen, die Basstöne landen in der Pedalstimme. Für Pianisten ohne Pedalerfahrung eignet sich diese Art der Spielpraxis freilich nicht, aber dazu haben die Vorredner im Jahre 2022 allerhand geschrieben.

Bin gespannt auf Weiteres. Falls noch Interesse da ist.
Das ist mit Sicherheit noch da. Warum so lange Zeit hier kein Beitrag kam, hat eher damit zu tun, dass der Fadenersteller kurzfristig Hilfe gesucht und durchaus auch erhalten hat. Meine eigenen Erfahrungswerte beruhen auf einer ähnlichen Biographie mit einem Unterschied: Erste Anregungen und Hilfen erhielt ich durch den Leiter meines Kinder- und Jugendchores, der mich in seiner Eigenschaft als Bezirkskantor an Orgel und Klavier Platz nehmen ließ, um den Chor bei öffentlichen Konzerten zu begleiten und ihn bei Proben zu dirigieren. Auf dem Umweg über Hammond- und E-Orgel landete ich schließlich beim Klavier, auf dem ich wenig später meine Ausbildung bei einem Hochschulrektor und Klavierprofessor erhielt. Erst in der Studienzeit spielte ich wieder gelegentlich Orgel und begleitete später Chöre bei Kirchenkonzerten, um heute inzwischen fast häufiger an der Orgel als am Klavier zu sitzen. Lebensmotto eines Beerdigungsorganisten: "Christus, der ist mein Leben, Sterben ist mein Gewinn"...!

LG von Rheinkultur
 

Ein Forte auf der Orgel ohne 16' im Pedal klingt beschissen. Peng, aus.
 
Im Prinzip ja. Nur haben Orgeln ohne Pedal in der Regel gar kein Forte. Ein Forte auf der Orgel beginnt für mich bei einer 8' Prinzipal-Basis; das dürfte an einer pedallosen Orgel doch eher selten zu finden sein.
Also ist das hier demnach kein Forte (Principal-4'-Basis)?



Hier weitere Beispiele für Forte-Registrierungen pedalloser Orgeln bzw. mit angehängtem Pedal, allerdings durchwegs auf Principal-8'-Basis:







 
Es geht doch in diesem Faden nicht um Steinzeit-Musik, sondern um Gemeinde-Begleitung.
 
Es geht doch in diesem Faden nicht um Steinzeit-Musik, sondern um Gemeinde-Begleitung.
Bisweilen stehen für die Gemeindebegleitung eben nur "Steinzeitorgeln" zur Verfügung (die vorgestellten französischen und spanischen mal ausgenommen, die kaum dafür vorgesehen waren).
Ein Forte auf der Orgel ohne 16' im Pedal klingt beschissen. Peng, aus.
Das hat man in der Vergangenheit sicher auch gedacht und an sich hervorragende, aber als unzulänglich erachtete Instrumente entsprechend "verschlimmbessert" (Pedalzubau, Dispositionsänderungen), die oft der Anfang vom Ende waren.
 
Es gibt hier inzwischen etliche Fäden zu Fragen der Begleitung einfacher Melodien und Volksweisen, auch da ist die obengenannte Expertise absolut am Platze. In der Ausbildung nebenamtlicher Musiker für Organistendienste scheint da auch bei den Praktikern, die für die Ausbildung verantwortlich zeichnen, so einiges im Argen zu liegen. Der Bewerbermangel an ambitionierten C-Organisten hat mehrere Gründe, aber es gibt mir zu denken, wenn eine befreundete hauptamtliche evangelische Kirchenmusikerin mir von einer C-Kandidatin berichtet, die einerseits umfangreichste kirchenmusikgeschichtliche und/oder Liturgik-Kenntnisse vorweisen muss und zugleich in wildeste Panik gerät, wenn sie simpelst gestrickte Gemeindelieder mit bescheidenen Satzweisen so begleiten soll, dass eine singerprobte und aufgeschlossene Gemeinde beim Gottesdienst danach singen kann. Da gibt es einige Personen, die eine solche Bilanz gerne und mit Erkenntnisgewinn lesen würden - sicher auch hier im Forum.
Ich mache mich ja schon seit Ewigkeiten unbeliebt, indem ich auf solche Probleme hinweise. Da steckt eine wenig überzeugende Entwicklung dahinter, weil man immer mehr versucht, hauptamtliche C-Stellen zu konstruieren (gerade in Köln). Dafür war der C-Kurs eigentlich nicht gedacht und dann überfrachtet man ihn mit Hilfswissenschaften aus dem Kirchenmusikstudium. Orgel und Chor müssen laufen, aus, peng! Kein C-Musiker muss aus dem Stand wissen, wie ein torculus porrectus resupinus ausschaut. Habe ich nie im Leben gebraucht.
 
Bisweilen stehen für die Gemeindebegleitung eben nur "Steinzeitorgeln" zur Verfügung (die vorgestellten französischen und spanischen mal ausgenommen, die kaum dafür vorgesehen waren).

Das hat man in der Vergangenheit sicher auch gedacht und an sich hervorragende, aber als unzulänglich erachtete Instrumente entsprechend "verschlimmbessert" (Pedalzubau, Dispositionsänderungen), die oft der Anfang vom Ende waren.

Ich wage zu behaupten, dass eigentlich kaum eine historische Orgel vor dem 19. Jh. zur Gemeindebegleitung gedacht war. Das kommt in der Barockzeit in Norddeutschland auf. Im katholischen Süden wurde Gregorianik alternatim mit Orgelversetten aufgeführt. Im Norden war der Gemeindegesang zunächst auch unbegleitet. Das macht natürlich heute durchaus Probleme. Wie man dann bei einer Restaurierung damit umgeht, ist eine ganz andere Frage.
 

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