Chopin Op. 25 #4 Metronomangabe

kitium

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Ich habe neulich den Zyklus gespielt, und bezog als Referenz die im Internet verfügbare Ausgabe von Mikuli. Ich gestehe, dass ich nicht weiter recherchiert habe, weil mir die Stücke vom "Allgemeinwissen" geläufig waren. Bei der 4. Etüde stand da 120, was mir zwar überraschend langsam vorkam, im Vergleich zu dem, was mir vom Hören bekannt war, aber ich habe mir nicht wirklich viele Gedanken darüber gemacht, da es ja insgesamt nichts überraschendes ist, dass sich traditionelle Tempi im Laufe der Zeit geändert haben. Ich habe also ungefähr 120 gespielt, und dachte dabei, löbliche authentische Aufführungspraxis zu betreiben.

Nun sah ich irgendwo anders die Zahl 160, was auf einem Bleistifteintrag im Manuskript zu basieren scheint, während eine andere Handschrift and auch die Erstausgabe weiterhin 120 hat. Was findet Ihr besser (oder richtiger)? Irgendwie mag ich beides ganz gerne.
 
Dem Mikuli würde ich eher miss- als vertrauen ;-) denn dieser geschäftige "Zeitzeuge" hatte in seiner Balladenausgabe die schöne originale Dissonanz am Ende der Einleitung 1.Ballade getilgt (d-g-es1-b1 das es zu d verharmlost) - dergleichen hinterlässt bei mir keinen erfreulichen Eindruck...

Allerdings das Manuskript hat tatsächlich Viertel = 120:
Screenshot_20230822_122330_Chrome.jpg
(vermutlich finden sich die Quellen zur Versions- und Editionsgeschichte in der exzellenten Demus/Badura-Skoda Ausgabe der Etüden - kann ich erst Ende September nachschauen)
Wenn ich mich richtig erinnere, differieren die dt., engl. und franz. Erstausgaben in Details, darunter bei ein paar Etüden auch in der Metronomangabe; zudem hat Chopin manches beim korrigieren von Druckfahnen noch geändert, sodass nicht immer und überall das Manuskript die Fassung letzter Hand darstellt. Aber wie das bei dieser Etüde im Detail war, weiß ich nicht sicher.
Mir ist 120 etwas zu langsam, flinker gefällt mir mehr.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wieso überhaupt die Frage? Ich dachte, wer einigermaßen was auf sich hält, spielt die Etüden sowieso so schnell wie möglich? :-D
 
Ich habe also ungefähr 120 gespielt, und dachte dabei, löbliche authentische Aufführungspraxis zu betreiben.
Das hast du mit Sicherheit verfehlt, denn die Apologeten der "löblichen authentischen Aufführungspraxis" ermitteln Chopins Tempi anders:
Viertel = 120/160 (Chopin)
Achtel = 120 (löbl.authent. muss es zweimal je Viertel ticken)
:-D
 
Die Abschrift mit Chopins Korrekturen, die auch die Vorlage für die deutsche Originalausgabe bildet, notiert Viertel = 160. Die französische Originalausgabe notiert Viertel = 120, was von den meisten Herausgebern als fragwürdig angesehen wird.
 
Interessant, dass es bei Etüden immer um Geschwindigkeit geht...
Und dann traut sich keiner ran, weil er denkt „das Tempo schaff ich nicht“, statt zu sehen, dass er technisch viel rausziehen kann, auch wenn er nicht annähernd an notiertes Tempo herankommt. (Guten Unterricht und richtige Bewegungsabläufe vermittelt vorausgesetzt). Ergebnis, man spielt sie garnicht, und nimmt sich die Möglichkeit sie über lange Zeiträume immer wieder aufzuwärmen und wirklich was dazuzulernen.
 

@Animata & @Carnina sagt die Art und Weise, wie jemand irgendwas übt (egal ob Etüde, Sonate oder Weihnachtslied!), etwas mitteilenswertes über die Tempovorgaben der Komponisten und über die gegebenenfalls interessante Editionshistorie?
Hier gehts doch um op.25 Nr.4 von Chopin und um die auffällige Differenz zwischen Manuskript (Viertel = 120) und Korrekturvorlage (Viertel = 160) und die Frage in #1, was einem mehr gefällt.
 
Bravo! Die Antwort ist richtig.

Hier haben sich einige höchst entbehrliche*) Beiträge eingeschlichen, die mit #1 inhaltlich absolut nichts zu tun haben. Ich gratuliere @hasenbein @Demian @Tastatula @Carnina @Animata solche verfasst zu haben. Und bevor ihr kollektiv mimimi macht: schreibt was zur Fragestellung bzgl. op.25 Nr.4


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*) "höchst entbehrlich" ist nur ein fader Ersatz für Adjektive, die mit der legendären "Nettiquette" drastisch kollidieren :teufel: :-D
 
...hm...sollte es bei Etüden eher um Gänseblümchen oder gar bequeme Sofakissen gehen?
bei Chopin in erster Linie um Musik.
Wenn man das Metronom als das Maß aller zu erreichender Dinge sieht, dann kann die Gute schonmal auf der Strecke bleiben, nur weil man zahlengläubig einem Tempo hinterherhechelt, zu dem man gar nicht in der Lage ist.
Nun kann man natürlich sagen: Ja, wer das Tempo nicht hinkriegt, lässt es besser ganz bleiben.
Ja, die Einstellung klann man haben, ist nicht meine.
Gerade opus 25.4 klingt auch in gemäßigterem Tempo schön. Das soll nicht heißen, dass man sich ausruhen soll, sondern, dass man sich Zeit geben soll, an den Werken zu wachsen.
Das Tempo kommt dann schon.
 
Nun sah ich irgendwo anders die Zahl 160, was auf einem Bleistifteintrag im Manuskript zu basieren scheint, während eine andere Handschrift and auch die Erstausgabe weiterhin 120 hat. Was findet Ihr besser (oder richtiger)?
Meine unqualifizierte Meinung dazu: ich finde es manchmal schade, wie sehr durch die schönen Chopin-Etüden durchgehetzt wird. Teilweise hat man den Eindruck, dass Geschwindigkeitswettbewerbe damit gewonnen werden wollen. Die Musik tritt dann ein bisschen in den Hintergrund. Von daher wäre ich eher für die langsamere Variante. Bisher habe ich aber nur die schnellere Version gehört (auf youtube. CDs, etc.).

Vielleicht war auch Chopin selbst hin- und hergerissen zwischen "sehr schnell" und "schnell", und hat deshalb beide Metronomangaben aufgeschrieben.

(P.S.: für mich persönlich stellt sich die Frage gar nicht, da ich die Etüde nur bei 120 spielen kann ;-), aber das war jetzt hier nicht die Fragestellung.)
 
wie sehr durch die schönen Chopin-Etüden durchgehetzt wird.
Ich find das Tempo irre (im positiven Sinn), wenn es eine Aufnahme ist, wo jedes Detail kristallklar abgebildet herauskommt. Wer das spielen kann „Hut ab!“ aber im Konzert war es bisher immer eine Enttäuschung. Man muss das Stück sehr gut kennen und sich den Teil den man nicht mehr hört dann selbst dazu denken… aber wozu geht man dann hin? Hab da mal Op.10/12 im Konzerthaus „gesehen“. Das war eine einzige undefinierbare Klangwolke. Es hat so „gekracht“, dass ich nicht mal hätte sagen können ob da noch irgendwas getroffen wurde.

Als demütiger zahlender Zuhörer darf es im großen Saal für mich gerne auf der gemäßigteren Seite liegen. Wer dort spielt muss nix mehr beweisen und tut dem Zuhörer hoffentlich den Gefallen, dass er von dem Abend auch was hat und nicht nur der Dekoration dient. Eine Etüde über der Uhr macht für mich als Zuhörer nur auf CD Freude.
 

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