Liebes Klein wild Vögelein,
hier wurde schon das Problem der Definition von Zufriedenheit angesprochen. Aber auch andere Begriffe sind schwer zu definieren, z.B. Fortschritt. Was ist ein Fortschritt? Für wen gilt dieser Fortschritt?
Wenn ich mehr Klavier übe, weil ich unzufrieden bin mit meinem Klavierspiel war und deshalb nun besser spiele, bin ich in diesem Punkt zufriedener. Wenn dadurch weniger Zeit bleibt für andere Hobbies und Menschen, die mir wichtig sind, ist das ein Rückschritt. Das Plus auf der Haben-Seite zieht ein Minus auf der Soll-Seite nach sich.
Fortschritt ist also auch immer mit Kosten und der Frage verbunden, welche Auswirkungen mein Tun auf meine generelle Zufriedenheit und die meiner Mitmenschen hat.
Meine Meinung nach geht es immer um Bedürfnisse. Wir Menschen haben davon mehrere/viele, sie sind unterschiedlich groß und ändern sich ständig.
Auch die Menschen, mit denen wir zu tun haben, haben Bedürfnisse. Wenn ein Individuum mit sich und seiner Umwelt so im Einklang lebt, dass die wichtigsten Bedürfnisse befriedigt werden, ist der Zustand der Balance erreicht, den man vielleicht als Zufriedenheit bezeichnen könnte.
Wie das Leben ist dieser Zustand aber immer nur einen Augenblick lang vorhanden. Schon im nächsten Augenblick könnte sich ein weiteres Bedürfnis einstellen und schon ist der erreichte Zustand der Zufriedenheit dahin. :) Es befindet sich also alles im Fluss, der Mensch strebt nach der Balance seiner Bedürfnisse und muss dafür ständig etwas tun.
Aus den Bedürfnissen können weitreichende persönliche und längerfristige Ziele resultieren, deren Realisierung einem so wichtig ist, dass man andere Bedürfnisse komplett hintenan stellt.
Sehr beruflich erfolgreiche Menschen arbeiten über Jahre 14-18 Stunden pro Tag und nehmen in Kauf, die Familie nicht zu sehen und keine anderen Hobbies zu haben. Die Erfüllung des dem beruflichen Erfolg zugrunde liegenden Bedürfnisses ist diesen Menschen so enorm wichtig, dass sie ohne die Erfüllung dessen niemals den oben erwähnten Zustand der Balance oder Zufriedenheit erreichen würden.
Ich habe mich schon oft gefragt, was das wohl für Bedürfnisse sind. Der tiefe Wunsch nach Anerkennung, nach "etwas zu sein", nach Ruhm und Macht? Der Wunsch, etwas zu bewirken (Selbstwirksamkeit), der Wunsch "gesehen zu werden"? Es gibt sicherlich viele mögliche dahinter stehende Bedürfnisse, aber ich frage mich z.B. immer, warum ein Trump diese Bedürfnisse hat, die bei seinen Auftritten zutage treten. Sicher spielen bei der Entstehung bestimmter Bedürfnisse auch Kindheitserfahrungen etc. mit hinein.
Ich persönlich versuche, wertende Vokabeln wie zufrieden, fortschrittlich etc. für mein Leben zu vermeiden. Ich versuche lieber, wahrzunehmen, was gerade ist, und das anzunehmen, was gerade ist. Ähnlich wie in dieser Geschichte:
"Ein großer Zen-Meister erhielt Besuch von ein paar Menschen, die auf der Suche nach dem Geheimnis der Zufriedenheit waren. »Großer Meister, was ist das Geheimnis der Zufriedenheit? Was ist dein Rezept, glücklich und zufrieden zu sein?«, fragten die Suchenden. Der Meister gab zur Antwort: »Wenn ich liege, dann liege ich. Wenn ich aufstehe, dann stehe ich auf. Wenn ich stehe, dann stehe ich. Wenn ich gehe, dann gehe ich. Wenn ich hungrig bin, dann esse ich. Wenn ich durstig bin, dann trinke ich. Wenn ich müde bin, dann schlafe ich, und wenn ich die Dinge verrichten muss, dann gehe ich zur Toilette. « Die Besucher waren etwas verwirrt und schauten sich gegenseitig ungläubig an. Dies konnte doch nicht das wahre Geheimnis der Zufriedenheit sein, und so erkundigte sich einer: »Großer Meister, treibe keine Scherze mit uns. Wie du weißt, liegen, stehen, gehen, essen und trinken auch wir, und trotzdem sind wir nicht zufrieden und glücklich.« Der Meister erkannte, dass die Menschen ihn nicht verstanden, und fügte deshalb hinzu: »Du hast recht, ihr liegt, steht, geht, esst und trinkt. Nur wenn ihr liegt, dann denkt ihr bereits ans Aufstehen, wenn ihr aufsteht, dann denkt ihr bereits ans Gehen, wenn ihr geht, denkt ihr bereits ans Essen, wenn ihr esst, dann denkt ihr bereits ans Trinken … Euer Körper und euer Geist sind nie zum selben Zeitpunkt am gleichen Ort. Eure Gedanken sind entweder in der Vergangenheit oder aber in der Zukunft. Das Leben findet jedoch nur in der Gegenwart statt, und nur in der Gegenwart habt ihr die Möglichkeit, Zufriedenheit und Glück zu erfahren."
Gerade an der Wahrnehmung hapert es aus meiner Sicht oft bei den Menschen. Dankbar zu sein für das Schöne, was jedem von uns begegnet, glücklich zu sein über die Natur, in der wir leben, aufmerksam zu sein uns, unserer Familie, unseren Freunden gegenüber, uns mit allem annehmen, was wir haben, fühlen, denken, zu erkennen, was wir ändern können und was nicht, schafft den Boden für ein glückliches Leben, das für alle auch ein Fortschritt ist! :)
Liebe Grüße
chiarina