Auf gut deutsch, wenn "im Normalfall" die Oberstimme der rechten Hand die Solostimme hat, und vielleicht noch der tiefe Basston der linken Hand, sind es vor allem die kleinen Finger, die Druck aufbauen, schön dosiert, während die "inneren" Finger sich zurücknehmen müssen. Dieses Zurücknehmen muß man immer mit sehen!
hallo Mindenblues,
ich halte den langsamen Satz der Pathetique (egal ob die drei- oder vierstimmige Variante des Themas) für ein schönes Beispiel, welches illustiert, was Du schreibst:
mf Oberstimme / Melodie r.H.
ppp begleitendes Band aus ruhigen 1/16teln r.H.
ppp begleitendes Band aus ruhigen 1/16teln l.H.
p Bass (teilweise "Gegenstimme") l.H.
(natürlich sind die Bezeichnungen ppp. p, mf nicht wörtlich zu nehmen oder gar in Phonzahlen anzugeben - es geht um das klangliche Verhältnis! Übrigens gilt dieses klangliche Verhältnis auch in akkordischem Satz)
"Begleitungen" in guter Musik leisten meistens mehr, als nur zu begleiten: sie setzen die Harmonien in Bewegung, schaffen Stimmungen und Klangfarben - das unterscheidet ja ein Chopinsches Nocturne vom Gebet einer Jungfrau :)
Manchmal, und dann als Kontrast, tauchen in der Klaviermusik aber auch komplett einstimmige Takte ohne jede Begleitung auf, z.B. ein kleines "Rezitativ" kurz den Schlussarpeggien der Fantasie von Chopin. Ein anderes Beispiel aus Ravels "Ondine" habe ich angehängt.
(im Fall von eher linear-polyphoner Musik, z.B. Fugen, wird die Hauptstimme (dux) meist allein am Anfang vorgestellt, ehe die 2. Stimme einsetzt - das halte ich für einen ganz anderen Fall, allerdings wird melodisches Spielen den mehrstimmigen Linien von Fugen nicht schaden - - ein schönes Beispiel für eine sehr melodische Fuge ist in Beethovens op.110. Linear-polyphone Musik setzt nicht primär auf "Stimmungen/Farben" mittels Begleitung - das meine ich mit "ganz anderer Fall")
Ich halte die einstimmigen Melodien, wie etwa in Ondine, für sehr schwierig: die Melodie ist ihres Schmucks, ihres Gewands beraubt - und es müssen schon sehr exquisite und "gekonnte" Melodien sein, die man komplett homophon bringt (z.B. im Tristan die "traurige Hirtenweise" im dritten Akt). In Ondine setzt Ravel eine Fortsetzung des Hauptthemas einstimmig und verlangsamt sie (tres lent) - - - natürlich hat man als Hörer noch all die aufrauschenden Wasserklänge zuvor, also die unterlegte "Stimmung" der Melodie im Ohr: und nun muss man entsetzt wahrnehmen, wie alle Stimmung verschwunden ist und nur noch die traurige Melodie beinahe versickert (die Stelle ist ein sehr direkter Bezug zur literrischen Vorlage).
- - so etwas ist sehr schwer überzeugend darzustellen.
mir fällt noch eine andere schöne einstimmige Melodie ein: der Beginn der cis-Moll Etüde aus op.25 von Chopin - eine Art "Cello-Kantilene" mit quasi Koloraturen.
Gruß, Rolf