Triller bei Chopin

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Meine Frage ist simpel, hat aber große Auswirkung.

Mich interessiert, mit welcher Note Chopin in seinen Kompositionen beim Trillern angefangen hatte, wenn nichts explizites vermerkt ist. Also, ob Chopin "defaultmäßig" mit der Hauptnote oder der oberen Hilfsnote begonnen hat.

Laut Eigeldingers bekanntem Buch "Chopin- Pianist and Teacher", welches sich ausschliesslich auf Primärquellen stützt (schriftlich niedergelegte Zeitzeugenaussagen, deren Glaubwürdigkeit abgecheckt wurde), gibt es eine Äußerung von Mikuli, nach der Chopin Triller normalerweise mit der oberen Hilfsnote begann. Also genauso wie bei Bach z.B.
Wenn mit der Hauptnote begonnen werden sollte, so hat Chopin - laut Mikuli - dies durch eine kleine Vorschlagsnote gekennzeichnet, sonst nicht.

Meine Lehrerin, immerhin gestandene Konzertpianistin und Hochschuldozentin, möchte jedoch gerne, dass mit der Hauptnote angefangen werden soll bei Chopin. O-Ton: "bei Bach Triller von oben, bei Musik danach von Hauptnote"...
Bevor ich mich in der nächsten Stunde auf einen (erwartungsgemäß erfolgenden) Disput mit ihr einlasse, möchte ich gerne von den zahlreichen Experten hier wissen, ob es noch andere Primärquellen (wohlgemerkt: mich interessieren hier erstmal nur Primärquellen) dazu gibt, wie Chopin seine Triller selber spielte.

Ganz konkret geht es mir jetzt erstmal um folgende Triller in der Berceuse, z.B. den ersten in folgendem Bild. Wenn der von der Hauptnote gespielt wird (heißt das heses?), gibt es eine Lücke im Fluß, die meine Lehrerin extra betonen will. Wenn der Triller von der oberen Hilfsnote gespielt wird, in dem Fall ces, gibt es einen vollkommen harmonischen Lauf stattdessen.

Bevor ich also meine eigene Konsequenzen ziehe, wie ich sie in diesem Fall spiele, würde mich interessieren, was sich der Komponist selber wohl dabei gedacht hat - bei diesem Triller speziell, als auch bei Trillern allgemein.

Also, kennt jemand noch weitere Primärquellen neben Mikuli zu diesem Thema?
 

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Ganz konkret geht es mir jetzt erstmal um folgende Triller in der Berceuse, z.B. den ersten in folgendem Bild. Wenn der von der Hauptnote gespielt wird (heißt das heses?), gibt es eine Lücke im Fluß, die meine Lehrerin extra betonen will. Wenn der Triller von der oberen Hilfsnote gespielt wird, in dem Fall ces, gibt es einen vollkommen harmonischen Lauf stattdessen.

Ja, es heißt heses ;)

und speziell bei diesem Triller würde ich mir auch überlegen, mit dem ces zu beginnen (und zusätzlich dieses ces etwas zu dehnen).

Es gibt natürlich Grundregeln für die Ausführung von Verzierungen - aber letzten Endes ist es immer eine Einzelfallentscheidung.
 
Danke, Haydnspaß, für die Ermutigung bzgl. dieses Trillers. Ich werde ihn erstmal so spielen, wie es meine Lehrerin will, bevor ich mich in die Diskussion stürze (um den guten Willen zu zeigen, Lehrer sind immer solange nett, solange man tut, was sie sagen, stimmt's? :D).

Es gibt natürlich Grundregeln für die Ausführung von Verzierungen - aber letzten Endes ist es immer eine Einzelfallentscheidung.

Naja, aber was sind die Grundregeln bei Chopin, das ist ja eben die Frage?

Also für mich wäre eine wichtige Ausgangsbasis, wie es Meister Chopin selber spielte. Nach Aussage meiner Lehrerin nachbarocke Triller normalerweise von der Hauptnote, nach der Aussage vom Zeitzeugen Mikuli, von der oberen Nebennote - das ist ein klar zu benennender Widerspruch (ich würde aus taktischen Gründen meiner Lehrerin Recht geben, nur auf der Ausnahme bei Chopin bestehen...:)).

Auch die 3 folgenden Triller in dem vorherigen Bild - bei Start von Hauptnote habe ich bei dem Speed nur die Wahl zwischen
a) (H)auptnote - obere (N)ebennote - (H)auptnote - weiter im Text oder
b) H - N - H - N - H - weiter im Text (schon sehr ambitioniert für mich) oder
c) N - H - N - H

Mir gefällt c) da auch besser, nicht nur weil ich generell Triller auch interessanter finde, wenn sie von oben starten, sondern weil ich in diesem Fall geschwindigkeitsmäßig gerade noch so zurandekomme (so etwa bei Tempo 32 für punktierte Halbe an dieser Stelle).
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Sollte Chopin plötzlich wieder angefangen haben, Barocktriller zu verwenden? Ich weiß es nicht. Es wäre aber ziemlich kurios.

Also dachtest du auch, Chopin startete normalerweise Triller von der Hauptnote? :roll:
Dann bringt dir dieser Thread ja vielleicht auch Erkenntnisgewinn?

Und warum kurios? Es ist ein drastischer Unterschied, den Triller mit der oberen Nebennote statt Hauptnote anfangen zu lassen, das ja, aber es klingt für mich interessant, und nicht nur bei Bach, auch bei Chopin meist besser.

Nur, das ist nicht der Punkt. Es ist für mich auch nicht so sehr von Bedeutung, wie andere Leute die Triller bei Chopin spielen. Viel wichtiger wäre für mich die fundierte Erkenntnis, wie es Chopin selber tat, das ist für mich eine solide Basis für die eigene Entscheidung der Trillerausführung.

Nur, leider stützen sich alle abgeleiteten Publikationen, wie
http://www.wellermusik.de/Tempo_Giusto/CHOPIN/chopin.html
und ähnliche, nur auf 2 bisher mir bekannte Zeitzeugenaussagen, auf die von Mikuli und eine weitere von Jane Stirling, welche dasselbe aussagt. Ziemlich dünn soweit, leider. Daher - vielleicht hat jemand hier noch eine weitere Primärquelle zu bieten?
 
Meine Meinung

Viel wichtiger wäre für mich die fundierte Erkenntnis, wie es Chopin selber tat, das ist für mich eine solide Basis für die eigene Entscheidung der Trillerausführung.

Gerade bei Chopin (siehe die Forum-Beiträge über verschiedene Fassungen seiner Musik, Beispiel Fantasie-Impromptu) würde ich mit "endgültigen" Entscheidungen, wie man seine Verzierungen zu spielen hat, äußerst vorsichtig sein. Chopin hat möglicherweise im Laufe seines Lebens verschiedene Varianten ausprobiert, und nicht unbedingt eine von ihnen als "endgültig" festgelegt.

Meine Meinung ist, dass es bei Chopins Verzierungen keine endgültigen Regeln gibt, sondern die Verzierungen individuell (mit gewissen Grenzen) nach dem Geschmack des Interpreten interpretiert werden dürfen.

Sonst könnte man auch die Diskussion starten, ob beim Zeichen "tr" ein Pralltriller gespielt werden darf, oder ein "längerer" Triller gespielt werden "muss".

Fazit: Wähle die Variante, die Dir persönlich am besten gefällt.
 
Primärquellen von Chopins Trillerstart?

Chopin hat möglicherweise im Laufe seines Lebens verschiedene Varianten ausprobiert, und nicht unbedingt eine von ihnen als "endgültig" festgelegt.

Bzgl. der konkreten Frage, ob Chopin normalerweise die Triller von der Nebennote oder der Hauptnote
gestartet hat, liegen mir nur die beiden genannten Primärquellen vor. Solche Quellen haben für mich einfach eine viel grössere Aussagekraft als Mutmaßungen.

Ich habe einen ganzen Stapel an Büchern über Chopin. Die allermeisten ergehen sich in Mutmaßungen, selbtgefärbten Interpretationen usw. Das kannst du komplett in die Tonne treten. Das einzige Buch, was ich kenne, welches ausschliesslich auf Zeitzeugendokumenten beruht, ohne diese durch eigene Wertungen zu verfälschen, ist das eingangs genannte Buch von Eigeldinger, leider bisher nur in englischer Sprache erschienen. Noch besser wären Dokumente von Chopin selber, statt von Zuhörern (in diesem Fall wichtige Privatschüler), die seine Spielweise zu Papier brachten für die Nachwelt. Da kenne ich nix bzgl. Trillerausführung, leider.

Nach Lage der Erkenntnisse werde ich bei Chopin von Fall zu Fall entscheiden; allerdings habe ich keinerlei Hemmungen, die Triller so zu nehmen wie es Chopin (offensichtlich zumindest von 2 Zeitzeugen bestätigt) tat. Und damit eben nicht andere Pianisten nachäffen, die meist die Triller von der Hauptnote nehmen bei Chopin. So wie es offenbar meiner Lehrerin als Lehrmeinung auch mal eingetrichtert wurde, und nicht nur meiner Lehrerin (siehe vorherige Statements von Haydnspaß). Es kann allerdings zu einem Eklat mit meiner Lehrerin führen, wenn ich ihrer Lehrmeinung meine Zeitzeugenzitate entgegensetze, und mich weigere, die genannten Triller oder evtl. auch Triller an anderer Stelle anders herum zu nehmen, als es der üblichen Hörgewohnheit entspricht. Und zwar aus zwei Gründen anders nehme:
a) weil es Chopin so tat und
b) weil es mir besser gefällt.
Mal sehen, wie es da weitergeht im Unterricht.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Es kann allerdings zu einem Eklat mit meiner Lehrerin führen, wenn ich ihrer Lehrmeinung meine Zeitzeugenzitate entgegensetze, und mich weigere, die genannten Triller oder evtl. auch Triller an anderer Stelle anders herum zu nehmen, (...)

Mit Deiner Lehrerin würde ich da auch vorsichtig sein. Ich kenne sie ja nicht, aber vielleicht fragt sie sich irgendwann: "Warum soll ich jemanden unterrichten, der sowieso nicht auf mich hört und denkt alles besser zu wissen..."
Gerade Künstler sind da manchmal sehr empfindlich...
 
Aber jetzt mal ehrlich: Ist es denn wirklich so wichtig, den Notentext 100% authentisch zu gestalten, wenn es anders vielleicht besser, zeitgemäßer oder wenigstens interessanter klingt?
 
Aber jetzt mal ehrlich: Ist es denn wirklich so wichtig, den Notentext 100% authentisch zu gestalten, wenn es anders vielleicht besser, zeitgemäßer oder wenigstens interessanter klingt?

Nö, 100% Authentizität ist nicht so wichtig - gebe dir recht.

Der Punkt ist nur, wenn es für mich tatsächlich in dem genannten Notenbeispiel besser und auch interessanter klingt, und wenn es von Chopin obendrein wahrscheinlich, nach derzeitiger Sachlage, auch so gemeint ist, dann müssen von meiner Lehrerin schon SEHR gewichtige Argumente kommen, die mich vom Gegenteil überzeugen können. Es kann nämlich sehr gut sein, dass manche Lehrmeinungen, wie man irgendwas zu gestalten HABE, aufgrund neuer Erkenntnisse veraltet sind. Wenn z.B. herauskommt, dass es der Komponist anders meinte, und man es selber anders auch schöner findet. Wenn eben das Dogma "Ab Beethoven spielt man Triller von der Hauptnote" nicht mehr zu halten ist, z.B...

Was ist für dich zeitgemäß? So wie es andere interpretieren? Gerade heute beschäftigt man sich mehr den je mit dem historischen Kontext, also blickt ein bisschen über den Tellerrand, den die Noten bieten, Stichwort "historisch informierte Aufführungspraxis". Man kann zeitgemäß auch so auffassen...

Zitat von Dimo:
Mit Deiner Lehrerin würde ich da auch vorsichtig sein. Ich kenne sie ja nicht, aber vielleicht fragt sie sich irgendwann: "Warum soll ich jemanden unterrichten, der sowieso nicht auf mich hört und denkt alles besser zu wissen..."
Gerade Künstler sind da manchmal sehr empfindlich...

Tja, das ist ja das Dilemma. Nachdem ich mich mit der Lehrerin wegen Bach-Interpretation dermaßen in der Wolle hatte, habe ich für mich stillschweigend beschlossen, bei ihr nicht mehr mit Bach auf der Matte zu stehen. Und bis jetzt habe ich alle Gestaltungsvorschläge von ihr bei Chopin geschluckt. Bis eben jetzt auf ihre Meinung zu den Trillern. Habe heute abend Unterricht, es wird wohl spannend werden... :rolleyes:
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:

Ich finde es immer interessant, dem Lehrer zu folgen, solange es musikalisch vertretbar ist (das sollte natürlich immer der Fall sein). Ich halte es so, daß ich bei einem Stück, daß ich ohne ihn studiert habe, die Varianten des Lehrers ausprobiere aber letzendlich selbst entscheide. Das ist ihm auch bekannt und wir haben damit keine Probleme. Wenn ich aber ein Stück im Unterricht beginne, haben seine Vorschläge erstmal Vorrang, denn er hat sich damit schon mehr befasst als ich. Sollte ich später andere Vorstellungen haben, kann ich die immer noch einarbeiten.

Wichtig finde ich vor allem, daß alle Ideen auf denen beharrt wird (Lehrer und Schüler) eine Grundlage haben. Aussagen wie "Ich finde, so klingt es besser" oder "ich kenne da so" wären da etwas schwach.

Also immer alle Ideen ernstnehmen. Der Lehrer ist in seiner Kunst aus zeitlichen oder finanziellen Gründen eingeschränkt, der Schüler ist es aus fachlichen Gründen. Ab und zu müssen sie sich aber auch ausleben dürfen :)
 
Ich wollte nur noch mitteilen, wie die Stunde gelaufen ist und die Diskussion bzgl. der Triller bei Chopin, in diesem Fall bei der Berceuse.

Nun, die Lehrerin hat nicht wiedersprochen, als ich ihr die Quellenlage geschildert habe, wie Chopin normalerweise Triller gestartet hat. In der Sache, nämlich bei den 4 Trillern in der Anfangsnachricht dargestellten Notenausschnitt bei der Berceuse, ist sie jedoch erwartungsgemäß hart geblieben. :D

Sie hat es (nachvollziehbar für mich) begründet, dass beim ersten Triller das Heses einen Vorhalt zum darauffolgenden As darstellt, und Vorhalte sollte man betonen. Da war der arme kleine Mindenblues schon wieder am Ende mit seiner Argumentation :?
Bleibe wohl daher bei der Variante (wie sie im übrigen alle mir vorliegenden Aufnahmen von Profis gewählt haben), nämlich diese Triller von der Hauptnote aus zu starten. :oops:

Habe aber "grünes Licht" bekommen, generell bei jedem Triller selber zu überlegen und zu tun, was ich für richtig halte. Sie ist nicht böse, wenn ich mich anders entscheide, als sie es spielen würde. Hauptsache, es klingt überzeugend. Bin ziemlich dankbar für diesen Standpunkt.
 

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